Brigitte Struzyks Gedicht „Durchbruch Samstag“

BRIGITTE STRUZYK

Durchbruch Samstag

In kleinen Räumen bin ich groß geworden,
im kalten Krieg trug ich ein Männerhemd,
links liegen blieb die Frage, wer ich bin.

In kleinen Räumen bin ich hoch geflogen,
der große Sprung ins Reich der Mitte war mein Ziel.
Ich trug zu große Stiefel gegen schwache Knöchel.

In kleinen Räumen sprach ich große Worte,
das Eigentum, am Eignen griff ichs an.
Ich stärkte meinen Rücken gegen rasches Ducken.

In kleinen Räumen ließ ich Türen offen,
im Jahr des Schweins ließ ich mich selber gehn.

1984

aus: Brigitte Struzyk: Leben auf der Kippe. Aufbau Verlag, Berlin/Weimar 1984

 

Konnotation

Als die junge Ostberliner Verlagslektorin Brigitte Struzyk in einem Gedicht ihres Debütbuches Leben auf der Kippe (1984) ihren „Durchbruch“ vermeldete, hatte die Lyrik der DDR gerade gelernt, in trotzigem Eigensinn und jenseits leer gewordener Kollektivitäts-Phrasen „Ich“ zu sagen. Der Text der 1946 geborenen Autorin markierte mit grimmigem Witz die Aufbruchsbewegung einer weiblichen Subjektivität.
Das ist Sturm-und-Drang-Poesie, feministisch gefärbt. In vier Strophen bilanziert ein selbstbewusstes Ich den Ausbruch aus der Enge einer streng reglementierten Lebenswelt. In der ersten Strophe sind noch die gesellschaftlichen Zuschreibungen wirksam, denen das Ich zu folgen hatte. Aber dann sprengen die „großen Worte“ und die Angriffslust des Subjekts die alten Strukturen: das Ziel wird zunächst geografisch bestimmt („das Reich der Mitte“), dann zunehmend politisch – etwa mit den Versen gegen Duckmäuserei. In den Schlussversen deklariert das weibliche Ich sein Recht auf Selbstbehauptung.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

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