Christian Morgensterns Gedicht „Das Fest des Wüstlings“

CHRISTIAN MORGENSTERN

Das Fest des Wüstlings

Was stört so schrill die stille Nacht?
Was sprüht der Lichter Lüstrepracht?
aaaaaaaDas ist das Fest des Wüstlings!

Was huscht und hascht und weint und lacht?
Was cymbelt gell? Was flüstert sacht?
aaaaaaaDas ist das Fest des Wüstlings!

Die Pracht der Nacht ist jach entfacht!
Die Tugend stirbt, das Laster lacht!
aaaaaaaDas ist das Fest des Wüstlings!

aaaaaaa(zu flüstern)

um 1900

 

Konnotation

Bereits vor seinem grandiosen Erfolg mit den 1905 erstmals publizierten Galgenliedern hatte der abgründig-komische Dichter Christian Morgenstern (1871–1914) die Konturen seiner „humoristisch-phantastischen Dichtungen“ abgesteckt. Daneben beschäftigte er sich mit der Konzeption eines „Weltkoboldes“ – eines göttlich-allmächtigen Gauklers, der die Welt als Bühne für allerlei Narreteien nutzt. Zu den berühmtesten „Galgenliedern“ gehörte dann die wortspielerische Einkreisung eines lasterhaften Festgelages.
Kurz vor der Niederschrift der Galgenlieder, die Morgenstern wohl im Winter 1900/01 während eines Kuraufenthalts in Davos begonnen hat, hatte sich der Dichter mit der Übertragung mehrerer Stücke und Versdramen des norwegischen Dramatikers Henrik Ibsen (1828) befasst. Eins davon Das Fest auf Solhaug (geschrieben 1855), zeigt Strukturähnlichkeiten mit dem „Fest des Wüstlings“. Denn in dem Stück soll, so betont Ibsen in seiner Vorrede, „ein großes Festgelage mit aufreizenden Reden und verhängnisvollem Zusammenstoß… vorkommen“.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

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