Erich Mühsams Gedicht „Obwohl du Margot heißt, muß ich dich preisen…“

ERICH MÜHSAM

Obwohl du Margot heißt, muß ich dich preisen…

Obwohl du Margot heißt, muß ich dich preisen.
Gewöhnlich sind die Margot, Gerda, Ellen
mir allzu linienhaft zum Beigesellen
und zu empfindsam, um damit zu reisen.

Verlieb ich mich schon in ein Mädchen sterblich,
so heiß’ es Trude, Miezl, Käthi, Annchen.
Die Namen Margot, Ingrid und noch manchen
find zu ästhetisch ich, zu kunstgewerblich.

Man redet Liebe, küßt sich mit den Psychen
bei Helga, Irmgard, Edith und Elfriede.
Du bist, mein Schatz, fürs Körperlich-Solide,
und darum, Margot, nenn’ ich dich Mariechen.

nach 1912

 

Konnotation

Als Vornamenskundler liegt der anarchistische Agitator, Bohemien und Dichter Erich Mühsam (1878–1934) ganz auf der Linie der Skeptiker, die den Vornamen Margot, die französische Kurzform von „Margarethe“, mit eher negativen Attributen verbinden: mit Unattraktivität und Unsportlichkeit. Mit der Gewöhnlichkeit einer „Margot“ will sich jedenfalls der Frauenfreund des Gedichts bei aller Lobpreisung seiner Herzensdame nicht abfinden. Am Ende gebiert diese lyrische Männerphantasie einen Namen für den erotisch permissiven Frauentyp: lieber ein „Mariechen“ als eine „Margot“.
Der Fraueneroberer macht das Profane seines Verständnisses von „Liebe“ kenntlich: Statt sich mit „unsterblicher“ Leidenschaft aufzuhalten, widmet er sich doch lieber den temporär begrenzten, rein körperlichen Vergnügungen. Es gibt wohl einen biografischen Hintergrund für dieses Gedicht: Nach 1912 warb Mühsam heftig um die Tänzerin Margit Jung, die Frau des Sozialrevolutionärs und Schriftstellers Franz Jung.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

0:00
0:00