ERNST JANDL
laß mich allein
laß mich allein
ich will allein sein
ich will es auch nicht
leben ist kein verzicht
laß mich allein
ich will am fuß keinen stein
ich bin vor gericht
ich will nichts, das für mich spricht
laß mich nicht allein
ich will nicht allein sein
ich bin vor gericht
einen will ich, der für mich spricht
1984
aus: Ernst Jandl: poetische werke. Hrsg. v. Klaus Siblewski. Luchterhand Literaturverlag, München 1997
Ein innerlich zerrissenes Ich formuliert das Verlangen nach absolutem Rückzug und totaler Abgeschiedenheit. „Laß mich allein“: Ein solcher Imperativ richtet sich an nahe stehende Menschen, deren Ausschließung zeugt meist von Verletztheit des Sprechenden. Das lyrische Ich des radikalen Sprachartisten Ernst Jandl (1925–2000) ist nie als ein homogenes, in sich ruhendes Subjekt zu fassen. In seinen Gedichten ist oft Verzweiflung im Spiel, eine existenzielle Unruhe, die das lyrische Subjekt in Paradoxien und Widersprüche treibt.
Die drei Strophen Jandls, die sich durch widersprüchlichste Bekenntnisse hindurchbewegen, sind Teil eines kleinen Zyklus, der „skizzen aus rohrmoos, sommer 1984“, die in den Gedichtband idyllen (1989) aufgenommen wurden. Gemeinsam mit seiner poetischen Lebensgefährtin Friederike Mayröcker hatte Jandl im steiermärkischen Bergort Rohrmoos einige Sommer lang ein Haus mit einem wilden, verwucherten Garten gemietet – auch dieses poetische Refugium bewahrte nicht vor der Höllenfahrt der innerpsychischen Ambivalenzen.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007
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