Eugen Roths Gedicht „Mitmenschen“

EUGEN ROTH

Mitmenschen

Ein Mensch schaut in der Straßenbahn
Der Reihe nach die Leute an:
Jäh ist er zum Verzicht bereit
Auf jede Art Unsterblichkeit.

1935

aus: Eugen Roth: Sämtliche Werke. Bd. 2: Gedichte. Carl Hanser Verlag, München 1977

 

Konnotation

Der Humor bedeutete für ihn die Rettung aus prekärer Lage. 1933, gleich nach der Machtübernahme der Nazis, war der kritische Journalist Eugen Roth (1895–1976) fristlos entlassen worden, weil man in ihm einen „politisch unzuverlässigen“ Zeitgenossen erkannt zu haben glaubte. Roth bot seine seit 1930 entstandenen Kalendersprüche und Gedichte bei elf Verlagen an, aber nur die Zeitschrift Simplicissimus wagte, den politisch Verfemten zu drucken. 1935 erschien das Erfolgsbuch Bin Mensch, das bis Kriegsende eine Auflage von einer halben Million Exemplaren erreichte.
Die zeitlos daherkommenden poetischen Schrullen und Merkverse bevorzugen einen desillusionierenden Sarkasmus. Es ist bei dem vielfach preisgekrönten Roth nicht alles so versöhnlich, wie seine mehr Schärfe und gezielten Protest einfordernden Kritiker behaupten. Der Dichter und Publizist wollte mehr sein als nur ein freundlicher „Humorist“. In seinen schönsten Gedichten bleibt einem denn auch das Lachen im Halse stecken.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

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