Eugen Roths Gedicht „So und so“

EUGEN ROTH

So und so

Ein Mensch, der knausernd, ob er’s sollte,
Ein magres Trinkgeld geben wollte,
Vergriff sich in der Finsternis
Und starb fast am Gewissensbiß.
Der andre, bis ans Lebensende,
Berichtet gläubig die Legende
Von jenem selten noblen Herrn –
Und alle Leute hören’s gern.
Ein zweiter Mensch, großmütig, fein,
Schenkt einem einen großen Schein.
Und der, bis an sein Lebensende
Verbreitet höhnisch die Legende
Von jenem Tölpel, der gewiß
Getäuscht sich in der Finsternis. –

1930er Jahre

aus: Eugen Roth: SämtlicheWerke. Bd. 2: Gedichte. Carl Hanser Verlag, München 1977

 

Konnotation

Seine anhaltende Popularität verdankt der Dichter und Journalist Eugen Roth (1895–1976) einer lebensgeschichtlichen Notlösung. Da die Nazis den „politisch unzuverlässigen“ Redakteur der Münchner Neuesten Nachrichten 1933 sofort feuerten, blieb ihm nur noch die Flucht in den Humor. Roth verlegte sich auf Gelegenheitsgedichte, die mehr oder weniger prägnant die Schwächen und Untugenden der Spezies Mensch benennen.
Nicht alle dieser lyrischen Lektionen über die Defizite der Gattung Mensch bergen moralischen oder politischen Sprengstoff. Roth maskierte sich auch gern als unpolitischer Verseschmied, der das Schmunzelbedürfnis zu befriedigen trachtet. Die 1935 zuerst erschienenen „Ein Mensch“-Gedichte erreichten rasch enorme Auflagen und wurden auch als schmale Sonderausgaben unter den Soldaten der Wehrmacht zum Bestseller.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008

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