Franz Grillparzers Gedicht „Licht und Schatten“

FRANZ GRILLPARZER

Licht und Schatten

Schwarz ihre Brauen,
Weiß ihre Brust,
Klein mein Vertrauen,
Groß doch die Lust.

Schwatzhaft mit Blicken,
Schweigend die Zung’,
Alt das Mißglücken,
Wunsch immer jung;

Arm was ich brachte,
Reich meine Lieb’,
Warm was ich dachte,
Kalt was ich schrieb.

1821

 

Konnotation

Das Dasein als schmerzhaftes Widerspiel von Polaritäten: Der österreichische Dramatiker, Erzähler und Lyriker Franz Grillparzer (1791–1872) hat es am eigenen Leib erfahren. Durch frühes Unglück – seine Mutter und sein Bruder begingen Selbstmord – neigte er zur „Selbstpeinigung“ und verstrickte sich früh in eine unauflösbare Melancholie. „Von quälenden Gedanken wie von Hunden angefallen, weiß ich nicht, nach welcher Seite ich mich wende“, vermerkte er in seinem Tagebuch. Das 1821 entstandene Gedicht zieht eine selbstquälerische Bilanz: Zuletzt siegt immer „das Mißglücken“.
Knapper und formvollendeter kann man die eigene Zerrissenheit wohl kaum beschreiben als Grillparzer in diesem grandiosen Text, der vom Aufeinanderprallen der emotionalen und existenziellen Gegensätze handelt. In der ersten Strophe steht noch eine erotische Verheißung im Vordergrund, doch scheint bereits hier das Begehren am fehlenden Vertrauen des Liebenden zu scheitern. Danach steigert sich das Zerrissenheits-Gefühl in weitere Dilemmata hinein, bis am Ende das schneidende „Kalt, was ich schrieb“ einen erbarmungslosen Befund markiert.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008

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