Franz Hodjaks Gedicht „Morgengedicht“

FRANZ HODJAK

Morgengedicht

Was machst du
mit einem Schutzengel, der
morgens, während du gemütlich
Kaffee trinkst und
die Welt ordnest, die du

gestern etwas
durcheinander brachtest, aus
dem Himmel stürzt und auf den Balkon
klatscht und tot liegen
bleibt. Zuerst denkst du,

Gottseidank, er hat mich
nicht erschlagen. Und dann?

um 2000

aus: Wörter kommen zu Wort. 100 Gedichte aus 10 Jahren. Hrsg. v. Anton G. Leitner. Artemis & Winkler, Patmos Verlag, Düsseldorf und Zürich

 

Konnotation

Wenn nicht einmal mehr die Schutzengel ihre angestammten Wächter- und Ordnungsaufgaben wahrnehmen können, dann ist die Welt endgültig aus den Fugen. Bei dem 1944 geborenen Franz Hodjak, der 1992 als einer der letzten bedeutenden rumäniendeutschen Schriftsteller seine Heimat verließ, kann es sogar passieren, dass die geflügelten Himmelsboten zu Tode kommen.
Wer wie der aus Siebenbürgen stammende Franz Hodjak mit „gelassener Verzweiflung“ auf die Welt blickt, der wehrt sich mit Sarkasmus und grimmigem Witz gegen die Absurdität des Daseins. Von solchen bösen Paradoxa wie dem Stoßgebet des Davongekommenen, der von dem herabstürzenden Engel verschont blieb, wimmelt es in Hodjaks Poesie. Seine Lyrik ist wie hier in Jahr 2000 entstandenen Zeitschriften-Beitrag zum Thema Religion, immun gegen falsche Utopien und Versprechungen – Illusionslosigkeit ist das zentrale Charakteristikum seiner Dichtung.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

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