Friedrich Wilhelm Wagners Gedicht „Sommertag“

FRIEDRICH WILHELM WAGNER

Sommertag

Die Sommersonne foltert fürchterlich
Den lahmen Leib. Kein Wind bewegt die Schwüle.
Der Asphalt stinkt. Es faulen die Gefühle.
Ein Droschkengaul verreckt am Sonnenstich.

Lustmörder lauern. Haftend hart und heiß
Ist eine Mädchenhand und macht ermatten.
Die kleinen Huren blühen blaß. Im Schatten
Steht statuenstarr ein blinder Bettelgreis.

Und von des Lebens fadem Einerlei
Gelangweilt döst auf schattigem Balkone
Und lauscht dem Lärm entfernter Grammophone
Ein fetter, fauler Papagei.

1920

 

Konnotation

Einer der wildesten, aber auch unbekanntesten lyrischen Expressionisten ist der aus dem Hunsrück stammende Friedrich Wilhelm Wagner (1892–1931), der den bizarren Simultanstil seiner Dichterkollegen Alfred Lichtenstein (1889–1914) und Jakob van Hoddis (1887–1942) auf die Spitze trieb. Die Deformation der Welt und die Dämonisierung der Metropole praktizieren die Grotesken Wagners in besonders extremer Form.
Nach seinem ersten Gedichtband 1911 publizierte Wagner in rascher Folge weitere Bücher; einige Jahre war er auch Mitarbeiter diverser expressionistischer Zeitschriften. 1920 legte er nach einer Nervenkrise ein Buch unter dem provokativen Titel Jungfraun platzen männertoll vor. Der vom Morphiumtaumel gehetzte Dichter, eine nach Aussagen von Zeitzeugen „unheimlich lange magere Gestalt“, hatte sich 1914 dem Kriegsrausch entzogen und war nach Zürich gegangen. Dort schrieb er in fieberhafter Produktivität seine Texte, die er meist an entlegene Kleinstblätter verkaufte. Das Zurücksinken in Lebensekel beleuchtet er in gesucht grellen Bildern. Nach 1920 verstummte der ausgebrannte poète maudit.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008

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