Georg Heyms Gedicht „November“

GEORG HEYM

November

Der wilden Affenscheiße ganze Fülle
Liegt auf der Welt in den Novemberkeiten.
Der Mond ist dumm. Und auf den Straßen schreiten
Die Regenschirme. Daß man warm sich hülle

In starke Unterhosen schon beizeiten.
Nur Bethge* haust noch auf dem Dichter-Mülle.
Man nehme sein Geschmier. Zum Arschwisch knülle
Man das Papier zum Dienst der Hinterseiten.

Die Martinsgans glänzt in der braunen Pelle.
stefan george steht in herbstes-staat.
an Seiner nase hängt der perlen helle.

Ein gelbes Rotztuch blinkt. Ein Auto naht.
Drin sitzt mit Adlerblick die höchste Stelle.
Fanfare tutet: Sellerie Salat.

* oder Benzmann oder Hesse – nach Belieben!

1910

 

Konnotation

In seinem erstmals im November 1910 veröffentlichten Spottgedicht färbt Georg Heym (1887–1912) seinen Expressionismus mit aggressiver Drastik: gegen die Dichterkollegen wird nach allen Seiten mächtig ausgeteilt. Die ganze Welt erscheint dem Dichter als ein Exkrement – und die Dichter blamieren sich als lächerliche Subjekte.
Der geistesaristokratische Stil Stefan Georges wird ebenso böse kommentiert wie die Texte von Heyms mittelmäßigen Zeitgenossen. Hans Bethge war ein Nachdichter orientalischer Werke, Hans Benzmann ein betulicher Naturdichter. Und auch den damals zum Star aufgestiegenen Hermann Hesse wünscht Heym auf den „Dichter-Mülle“. Auf literarische Freunde oder Verbündete legte Heym keinen Wert. Der ganze Literaturbetrieb schrumpft zum „Arschwisch“.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006

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