Georg Maurers Gedicht „Verspätete Antwort“

GEORG MAURER

Verspätete Antwort

Die Antwort sprang nicht schnell hervor,
des Fragers Angriff abzufangen.
Der Sieg des Fragers ist vergangen.
Doch sitzt die Frage mir im Ohr:
ein Angriff nicht mehr existent.
Doch meine Antwort ist jetzt da!
So wie ein Käferbein ganz angestrengt,
ein Spinnenbein, sich in der Luft bewegt,
fühl ich die Antwort, die sich lüstern regt,
Tentakeln gleich sich um die Frage legt,
übt, fängt und faßt, als ob, was nicht geschah,
geschehn sei. – Spott ich meiner beim Spazieren,
spür ich die Antwort immer noch sich rühren.

1962

aus: Georg Maurer: Ich sitz im Weltall auf einer Bank im Rosental. Hrsg. von Eva Maurer. Edition Wörtersee. Connewitzer Verlagsbuchhandlung Peter Hinke. Leipzig 2007

 

Konnotation

Von 1955 bis 1970 hatte der aus Siebenbürgen stammende Dichter Georg Maurer (1907–1971) eine Schlüsselposition im literarischen Betrieb der DDR inne. Als Hochschullehrer am Literaturinstitut Johannes R. Becher in Leipzig wurde er zum verehrten Mentor einer ganzen Generation bedeutender Poeten (Volker Braun, Adolf Endler, Sarah Kirsch u.a.), die ihrer Sozialisation in der „Sächsischen Dichterschule“ viel verdanken. In seinen eigenen Gedichten demonstrierte Maurer sein hoch entwickeltes Formbewusstsein.
Das 1962 entstandene Gedicht inszeniert in strenger Metrik den Verlauf eines angriffslustigen Disputs, wobei ein Teilnehmer seine Niederlage einräumt. Das dialektische Wechselspiel von Rede und Gegenrede scheint mit dem Triumph des fragenden zu enden – der rhetorisch Unterlegene grämt sich ob seiner „verspäteten Antwort“. Trotz der Selbstironie des Unterlegenen ist aber die Energie seiner Antithese noch nicht erloschen.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

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