Georg von der Vrings Gedicht „Nie genug“

GEORG VON DER VRING

Nie genug

Bei meines Lebens Narretein,
Da ward ich einmal klug,
Ich liebte mich in dein Herz hinein,
Und tat’s doch nie genug.

Dein Mund so schön, dein Auge klar
War alles, was ich frug,
Bis daß ich gar verwandelt war,
Und war’s doch nie genug.

Du wurdest unsre Mutter dann,
Die meine Kinder trug,
Ich saß bei dir und sah dich an,
Und tat’s doch nie genug.

Und als das Unheil lauerte
Und als der Tod dich schlug,
Da weint ich hin und trauerte
und tat’s doch nie genug.

Wie dank ich’s dir? Das Leben hier
Ist eines Vogels Flug.
Was ich noch bringe, bring ich dir,
Doch nie und nie genug.

nach 1927

aus: Georg von der Vring: Die Gedichte. Gesamtausgabe der veröffentlichten Gedichte und eine Auswahl aus dem Nachlaß. Langewiesche-Brandt, Ebenhausen 1989

 

Konnotation

Er war „der letzte Meister des Liedes“ – so hat ihn später sein Exeget Peter Hamm charakterisiert. Aufgewachsen in Friesland, hatte Georg von der Vring (1889–1968) zunächst Malerei studiert und sich als Zeichenlehrer versucht, bevor er sich 1926 endgültig der Poesie zuwandte. In der Nazi-Zeit zog er sich auf unpolitische Romane zurück und verfeinerte seine Verskunst. Diese scheint in ihrer gleichmäßigen Symmetrie auf Beruhigung zu zielen – ein betörender Klangzauber, der Schwermut in Leichtigkeit verwandelt.
Georg von der Vrings spätes Gedicht ist ein zarter Klagegesang auf seine große Liebe, seine erste Ehefrau Therese Oberlindober, mit er zwei Söhne hatte und die bereits 1927 im Alter von 32 Jahren starb. Über diesen Verlust ist der Dichter nie hinweggekommen, auch wenn er später noch zweimal heiratete. Die Anmut und Leichtigkeit gelangen ihm nur noch in seinen makellos gebauten Versen, aber nicht mehr im Leben.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008

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