Giuseppe Ungarettis Gedicht „Mattina / Morgen“

GIUSEPPE UNGARETTI

Mattina / Morgen

M’illumino
d’immenso

*

Ich erleuchte mich
durch Unermeßliches

1917

(Übersetzung Ingeborg Bachmann)

aus: Giuseppe Ungaretti: Gedichte. Übersetzt von Ingeborg Bachmann. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 1961

 

Konnotation

Das kürzeste und berühmteste Gedicht des italienischen Weltpoeten Giuseppe Ungaretti (1888–1970) erreicht eine Bedeutungsdichte, die schwerlich überboten werden kann. Das italienische Original beschränkt sich auf vier aufs Äußerste verknappte Wörter und sieben Silben. Es enthält fast ausschließlich Vokale und fließende Laute, und jeder Versuch einer Übertragung steht vor der Schwierigkeit, diese minimalistische Lakonie des Originals zu erreichen. Die größte Nähe zum Original erreichte die Übersetzung Ingeborg Bachmanns (1926–1973).
Aber selbst Ingeborg Bachmanns kongeniale Annäherung vermag das Fliegende des Originals nicht adäquat wiederzugeben. Sie muss auf Härten wie den zweifachen Partikel „-er“ und das „-te“ zurückgreifen und landet schließlich bei elf Silben. Und das bei einem Dichter wie Ungaretti, der sich eine radikale „Sprachwaschung“ und Befreiung des Gedichts von allen ornamentalen Schnörkeln verordnet hatte. Das Wort, so Ungaretti, sollte „nackt“ sein, bei jeder „Kadenz des Rhythmus, bei jedem Herzschlag anhalten“.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009

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