Gottfried Benns Gedicht „Ein Wort“

GOTTFRIED BENN

Ein Wort

Ein Wort, ein Satz – : aus Chiffren steigen
erkanntes Leben, jäher Sinn,
die Sonne steht, die Sphären schweigen
und alles ballt sich zu ihm hin.

Ein Wort – ein Glanz, ein Flug, ein Feuer,
ein Flammenwurf, ein Sternenstrich –
und wieder Dunkel, ungeheuer,
im leeren Raum um Welt und Ich. 

1941

aus: Gottfried Benn: Statische Gedichte. Arche Literatur Verlag, Zürich-Hamburg 1948, 2006

 

Konnotation

Im Jahr 1941, ausgelöst durch eine schwere persönliche Krise, verfasste Gottfried Benn (1886–1956) einen Zyklus von sieben „Biographischen Gedichten“, die zum motivischen Kern seiner später berühmten Statischen Gedichte wurden. „Sie haben bewusst nicht die Losgelöstheit von eigenem Ich, die grosse Gedichte haben u. haben sollen“, schreibt er an Weihnachten 1941 seinem Briefpartner, dem hanseatischen Großkaufmann F.W. Oelze, „aber Lyrik ist Existentialkunst – voilà“. Im sechsten Gedicht dieses Zyklus liefert Benn eine pathetische Apologie der Dichtkunst.
Das dichterische Wort wird hier im gravitätischen Rhythmus der vierhebigen Jamben zum einzigen Lichtblick in einer völlig verdunkelten Welt erhoben. Benn war der Überzeugung, dass lyrische Kunstwerke ihrem Wesen nach „statische“ Gebilde sind, die alle geschichtlichen Veränderungen überdauern. In seiner bedrohlich gewordenen politischen Isolation sah der damals verfemte Dichter die einzige Rettung im Versuch, „die Dinge mystisch (zu) bannen durch das Wort“, wie es ein weiteres Gedicht dieses Zyklus andeutet.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

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