Hans Arps Gedicht „Herr Je das Nichts ist bodenlos…“

HANS ARP

1
Herr Je das Nichts ist bodenlos.
Frau Je das Nichts ist unmöbliert.
Da nützt euch auch kein Kreuzbesteck
mit dem ihr fleißig exerziert.

Herr Je Frau Je Frau Je Herr Je
gleich beißt das Nichts euch in den Bauch
verschluckt euch samt dem Kreuzbesteck
und speit euch aus als Ruß und Rauch.

2
Charybdis bybdis Zwiebelbiß
das Standbild geht im Kreis herum
das Heroldseuter in der Hand
und fällt von seinem Podium.

Die Schwindelschraube schraubt sich fest
und schraubt die Windsbraut an den Wind.
Es kracht der große Ehrenast
und tötet Jubelgreis und -kind

1924

aus: Hans Arp: Gesammelte Gedichte 1. Gedichte 1903–1939. Arche Verlag, Zürich 2005

 

Konnotation

Das wortakrobatische Gedicht des elsässischen Dadaisten Hans Arp (1886–1966), das in verschiedenen Varianten und unterschiedlichen Strophenfolgen überliefert ist, gilt als ein besonders virtuoses Exempel „Deutscher Unsinnspoesie“. Diese Rubrizierung könnte zu dem Fehlschluss verleiten, dass Arp hier nur sinnfreie Wort-Kombinatorik betreibt, die allein auf die phantastische Verknüpfung disparater Bilder, auf überraschende Wortverbindungen und originelle Reime vertraut.
Das Gedicht erschien 1924 erstmals in der Sammlung Der Pyramidenstock, und wurde in einer modifizierten Version in den Band Wortträume und Schwarze Sterne (1953) aufgenommen. Aber „sinnfrei“ war Arps lyrisches Balancieren über dem Abgrund nie. Bereits der erste Teil des Textes spricht ja von einer Affinität seiner Figuren zum „Nichts“, von dem alles verschlungen zu werden droht. Auch der zweite Teil verweist auf eine bedrohliche Grenzsituation des Sprechenden: Gleich zu Beginn lauert ihm „Charybdis“ auf, das formlose Meeresungeheuer aus der griechischen Mythologie.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008

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