Heinz Czechowskis Gedicht „ICH BIN, WO ICH BIN, UND NICHTS…“

HEINZ CZECHOWSKI

ICH BIN, WO ICH BIN, UND NICHTS
Deutet darauf hin, daß ich
Je woanders sein könnte, in
Absehbarer Zeit jedenfalls. Gestern noch
Sah ich die kleinen
Dörfer zwischen Kamenz und Dresden.
Östlich geprägt und nicht verschont,
Fuhr ich zurück, dort hin,
Wo ich jetzt zu Haus bin. Die Liebste
Sah ich vor ihrem Haus,
Die ferne Vergangenheit
War wieder nah
Im Flachland bei Leipzig: Ich jedenfalls
Bin, wo ich bin, unerlöst
Und ohne Aussicht. In mir
Lebt und lebt, was gestorben ist und mich doch
Immer und immer wieder
Erreicht.

1997/98

aus: Heinz Czechowski: Mein westfälischer Frieden. Ein Zyklus. Nyland-Stiftung, Köln 1998

 

Konnotation

Der 1935 geborene Heinz Czechowski ist ein poetischer Fatalist. Die Urszene seines Schreibens, die seine pessimistische Weltsicht geprägt hat und die auch in seinen Gedichten häufig beschworen wird, ist der Untergang seiner Heimatstadt Dresden im Feuersturm des 13. Februar 1945. Der in der sächsischen Dichterschule sozialisierte Autor verlor früh den Glauben an die „unwirtliche DDR“, nach dem Untergang des SED-Staats wurde seine Gedankenlyrik von Melancholie und Skepsis zunehmend verdunkelt.
Nach einer Lebenskrise, in der er von Depressionen und Einsamkeitssyndromen heimgesucht wurde, zog sich Czechowski in die westfälische Provinz zurück, wo er in sarkastischen Poemen die Summe seines Lebens zog. Das 1997/98 entstandene Gedicht dokumentiert in anrührender Weise die Unbehaustheit des „unerlösten“ Dichters und sein Gefühl, ein aussichtsloses Rest-Leben zu führen.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

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