Helmut Heißenbüttels Gedicht „Trostsprüche (Auszug)“

HELMUT HEISSENBÜTTEL

Trostsprüche (Auszug)

glitzernd schwarz überquert Hubschrauber Deichgelände
in wolkenleeren Himmel heben kahle Pappeln ihre Hände

wer träumend auf einem Kamel reitet ins eigene Grab
dem lächelt Fortuna entblößten Busens vom Himmel herab

Traumfinsternis in klebrig abbindendem Schlamm durchstampft
Puppe mit großem Kopf und dünnem Körper die Gefühl abdampft

Ungeduld
hat schuld

das definitive Ende von allem ist gewiß
was alles ist bleibt bis dahin ungewiß

1985

aus: Helmut Heißenbüttel: Textbuch 8. 1981–1985. Klett-Cotta, Stuttgart 1985

 

Konnotation

Drei Jahrzehnte lang galt Helmut Heißenbüttel (1921–1996) als der gestrenge Doyen einer puristisch konzipierten experimentellen Literatur. In Techniken des Rückgriffs, in Zitat, Montage und Rekapitulation sammelte dieser Dichter die Redeweisen und Sprechtechniken seiner Zeitgenossen und ordnete sie in einem kombinatorischen und „antigrammatischen“ Verfahren neu. Als dann 1985 Heißenbüttels Textbuch 8 erschien, rieben sich seine Freunde und Kritiker verwundert die Augen.
Heißenbüttel hatte sich im Textbuch 8 auf seine Anfänge zurückbesonnen und statt unpersönlicher Montagetechniken mit einer autobiografischen Haltung überrascht. Unter ironischer Verwendung des Reims werden in den „Trostsprüchen“ Stenogramme von Realitäts- und Bewusstseinsprozessen miteinander verbunden. Lässig reiht der Dichter Notat an Notat, Wahrnehmungsfragmente, Traumbilder, philosophische Splitter und Kalauer purzeln durcheinander.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

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