Helmut Kraussers Gedicht „im auto deines vaters“

HELMUT KRAUSSER

im auto deines vaters

im auto deines vaters
wein aus seinem
keller trinken, nie hat ers
gemerkt, der zungenkuß
deine hand an meinem
reißverschluß.

wie wenig damals viel war
gar nicht lange her

auf der brücke stehn,
dem mond im wasser
zuzusehn, und eine schar
enten mit dem luftgewehr
abzuknallen. schön.

wie wenig damals viel war.
gar nicht lange her.

2003

aus: Helmut Krausser: Strom. Neunundneunzig neue Gedichte. Rowohlt Verlag, Reinbek 2003

 

Konnotation

Man hat den Gedichten des Romanschreibers und Gelegenheitslyrikers Helmut Krausser (geb. 1964) eine großspurige Derbheit und eitle Kraftgebärden vorgeworfen. Dabei wird übersehen, dass der mit seinem Vitalismus etwas kokettierende Autor auch einige zart-elegische Gedichte geschrieben hat. Sein kleines Lied der Erinnerung zeigt die prinzipielle Differenz zwischen der Erfahrungswelt des Jugendalters und des Erwachsenendaseins.
In der Zeit der Jugend ist jeder emotionale Augenblick eine sinnliche Sensation – dem Ältergewordenen bleibt der melancholische Rückblick. Gegen eine allzu stille Idyllik hat Krausser hier Konterbande eingeschmuggelt. Er lässt seinen lyrischen Helden das Töten von Enten als besonderen Glücksmoment schildern. Da bekommt der verklärte Blick zurück eine Fratze der Boshaftigkeit.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009

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