Hugo von Hofmannsthals Gedicht „Inschrift“

HUGO VON HOFMANNSTHAL

Inschrift

Entzieh dich nicht dem einzigen Geschäfte!
Vor dem dich schaudert, dieses ist das deine:
Nicht anders sagt das Leben, was es meine,
Und schnell verwirft das Chaos deine Kräfte.

1896

 

Konnotation

Es führt von der Poesie kein direkter Weg ins Leben, aus dem Leben keiner in die Poesie. Das Wort als Träger eines Lebensinhaltes und das traumhafte Bruderwort, welches in einem Gedicht stehen kann, streben auseinander und schweben fremd aneinander vorüber…“ In seinem 1896 publizierten Aufsatz „Poesie und Leben“ hatte der junge Hugo von Hofmannsthal (1874–1929) noch einem reinen Ästhetizismus und einer schroffen Trennung der Kunstsphäre von der alltäglichen Lebenswirklichkeit gehuldigt. Im gleichen Jahr veröffentlichte er eine „Inschrift“, die das Lebensgesetz des Künstlers verkündet.
Was Hofmannsthal hier als „Inschrift“. also als ewig gültige Maxime, festgehalten hat, meint die existenziellen Zerreißproben, denen ein schöpferischer Mensch ausgesetzt ist.Wenn der Künstler, der Mensch überhaupt. seinen Passionen oder seiner „Berufung“ folgt, ist das ohne Erschütterung und „Schauder“ nicht zu haben. Wer also sein Lebensgesetz in dieser konsequenten Weise verwirklichen will, wird auch mit dem eigenen tragischen Scheitern konfrontiert, wenn am Ende das „Chaos“ triumphiert.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

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