Ina Seidels Gedicht „Eine helle Harfe liebt ich sehr“

INA SEIDEL

Eine helle Harfe liebt ich sehr

EINE HELLE HARFE LIEBT ICH SEHR.
Aber diese Harfe tönt nicht mehr.
Weil er, der sie spielte,
Sprach: Es ist genug!
Und die Harfe aufhob
Und am Mond zerschlug.

nach 1930

aus: Ina Seidel: Gedichte. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart/München 1955

 

Konnotation

Im Werk der Schriftstellerin Ina Seidel (1885–1974) finden sich einige Exempel für politische Verblendung, die zeigen, wie romantisch-mystische „Weltinnigkeit“ in nationalistisch-völkische Gegenaufklärung umschlagen kann. Ihren Roman Das Wunschkind (1930) bezeichnete sie als „eins der wenigen echt nationalen und tief deutschen Bücher“, den Führerkult um Hitler verstärkte sie 1939 mit einem überschwänglichen Geburtstagsartikel. Der Ingrimm über solche Verfehlungen hat den Dichter Peter Hacks (1928–2003) zur Anmerkung verleitet, die Neoromantikerin Seidel sei in „religiöser Verblödung“ gestorben.
Ina Seidels politische Dummheiten haben den Blick auf ihre mystisch inspirierten Gedichte verdunkelt. So auch auf die schönen Stücke der „Kleinen Präludien“, zu denen das Harfen-Gedicht gehört und die vermutlich in den 1930er oder 1940er Jahren entstanden sind. Hier ist in parabelhafter Verschlüsselung vom gewaltsamen Ende der Musik und Dichtkunst die Rede – der Sänger oder Dichterkönig selbst ist es, der dieses Ende herbeiführt.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

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