Johann Wolfgang von Goethes Gedicht „Nur wer die Sehnsucht kennt“

JOHANN WOLFGANG VON GOETHE

Nur wer die Sehnsucht kennt

Nur wer die Sehnsucht kennt,
Weiß, was ich leide!
Allein und abgetrennt
Von aller Freude,
Seh ich ans Firmament
Nach jener Seite.
Ach, der mich liebt und kennt;
Ist in der Weite.
Es schwindelt mir, es brennt
Mein Eingeweide.
Nur, wer die Sehnsucht kennt,
Weiß, was ich leide!

1795

 

Konnotation

In Johann Wolfgang von Goethes Roman Wilhelm Meisters Lehrjahre tauchen diese zwölf berühmten Verse 1795 zum ersten Mal auf. Dort werden sie gesungen von Mignon, einer der zauberhaftesten wie rätselhaftesten Romangestalten, die Goethe (1749–1832) je geschaffen hat: ein italienisches Mädchen, das von Zigeunern verschleppt und vom Romanheld Wilhelm freigekauft wird.
Es ist die zeitlose Trance der Liebenden, die in diesem Sehnsuchtslied heraufgerufen wird. Im Roman selbst ist das Leiden an die Figur Mignons gebunden, der ihre Heimat geraubt wurde und die dieses Trauma nie verwunden hat. Goethes Lied trat im 19. Jahrhundert einen beispiellosen Siegeszug durch die Welt an: Fast sechzigmal wurde es vertont, von so epochalen Komponisten wie Beethoven, Schumann oder Tschaikowski.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006

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