Karl Krolows Gedicht „Brauchen“

KARL KROLOW

Brauchen

aaaaaaaato whom it may concern

Ich sagte, ich brauche dich.
Ich hör es mich wieder sagen
wie in vergangenen Tagen
geht es um dich und mich.

Um wenig geht es mehr
in einem langen Leben.
Ich setze mich noch zur Wehr.
Es gilt nicht aufzugeben.

Wie soll ich es anders nennen:
lebte ich nicht zu lange?
Es ist ein besond’res Verbrennen.
Mir ist um nichts mehr bange.

1996

aus: Karl Krolow: Im Diesseits verschwinden. Gedichte aus dem Nachlaß. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 2002

 

Konnotation

Beweglichkeit und Grazie erhob der Dichter Karl Krolow (1915–1999) zu Zentraltugenden der Poesie. In seiner bilder- und formenreichen Dichtung gelang es ihm mühelos, Melancholie und Ironie in eine feine schwebende Balance zu bringen. In seinen späten Gedichten exponierte sich Krolow als ein Artist des Abschieds, der unablässig die Bilanz des Lebens zieht.
Je näher das Lebensende an ihn heranrückte, desto intensiver widmete sich Krolow dem Gedichteschreiben. Allein 150 Texte entstanden in seinen letzten beiden Lebensmonaten. Am 16.11.1996 stellte er in einer seiner wie beiläufig dahingesprochenen Daseinsbilanzen die Frage nach einem verlässlichen oder liebenden Du. In den beiden folgenden Strophen konzentriert das Ich die Aufmerksamkeit auf sich selbst und beschränkt sich auf die stoische Inventarisierung des Lebensrests. Die Vermessung des verbleibenden Terrains im „Diesseits “ – das ist das Thema des späten Karl Krolow.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

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