Kurt Bartsch’ Gedicht „Rita“

KURT BARTSCH

Rita

Ritas Mann hat Rita den Laufpaß gegeben
Nun sitzt Rita da und kippt einen Korn
In der Kneipe Alte Schönhauser Straße
Das Haus steht auf Abriß, aber noch
Floriert das Geschäft. Herr Ober, zwei Korn! Sie sind
Folglich eingeladen, sagt Rita, weil Ritas Mann
Rita den Laufpaß gab, trinkt Rita. Was soll ich machen
Ich bin über vierzig, geschieden, drei Kinder am Hals
Die Jüngste ist dreizehn und geht schon mit Männern
Früh übt sich, als ich dreizehn war
War alles anders, sagt Rita. Erst Krieg, dann der Hunger
Mit sechzehn, sagt sie, habe ich Steine geklopft
Wir gruben die Stadt aus mit bloßen Händen.
Jetzt steht die Stadt. Ich bin eine Ruine.

1979

aus: Kurt Bartsch: Kaderakte. Gedichte und Prosa. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek 1979

 

Konnotation

Den „neuen Menschen“ der „entwickelten sozialistischen Gesellschaft“ haben die politischen Eliten der DDR in den Gedichten des 1937 geborenen Kurt Bartsch nicht finden können. Im Gegenteil: Was der Autor 1979 in seinem Gedichtband mit dem provokativen Titel Kaderakte an sozialistischen Lebensläufen sammelte, war nicht dazu angetan, dem Ruhme des SED-Staats zu dienen.
Den lakonischen Realismus von Bartschs Gedichten empfanden die SED-Kulturpolitiker als Zumutung. Prompt wurde der Autor 1979 aus dem Schriftstellerverband der DDR ausgeschlossen – offiziell wegen der illegalen Veröffentlichung von Büchern im Westen –; Bartsch ging bald darauf von Ost- nach West-Berlin. Seine Spottlust, die er bereits in seinem satirischen Gedichtbuch zugluft (1968) ausgebildet hatte, hat er in seinen folgenden Büchern noch weiter verschärft.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

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