Kurt Tucholskys Gedicht „Park Monceau“

KURT TUCHOLSKY

Park Monceau

Hier ist es hübsch. Hier kann ich ruhig träumen.
Hier bin ich Mensch – und nicht nur Zivilist.
Hier darf ich links gehn. Unter grünen Bäumen
sagt keine Tafel, was verboten ist.

Ein dicker Kullerball liegt auf dem Rasen.
Ein Vogel zupft an einem hellen Blatt.
Ein kleiner Junge gräbt sich in der Nasen
und freut sich, wenn er was gefunden hat.

Es prüfen vier Amerikanerinnen,
ob Cook auch recht hat und hier Bäume stehn.
Paris von außen und Paris von innen:
sie sehen nichts und müssen alles sehn.

Die Kinder lärmen auf den bunten Steinen.
Die Sonne scheint und glitzert auf ein Haus.
Ich sitze still und lasse mich bescheinen
und ruh von meinem Vaterlande aus.

1924

 

Konnotation

Als er sein Lob der urbanen Idylle im Pariser Park Monceau sang, hatte sich Kurt Tucholsky (1890–1935) für einige Zeit aus den politischen Tageskämpfen in Deutschland zurückgezogen. Am 15. Mai 1924 erschienen in der Zeitschrift Die Weltbühne unter dem Pseudonym Theobald Tiger seine vier Strophen über die politische Atempause an einem Ort, der anders als in deutschen Breiten von keinen Verbotstafeln oder Ideologien umzingelt ist.
Der Deutschland-Flüchtling, der das heraufziehende politische Unheil in seinem Vaterland bereits ahnt, genießt für Momente jene heitere Gelassenheit, die ihm in Deutschland versagt bleibt. Dieser Park ist ein Sinnbild humanen Freiraums – und nicht, wie noch bei Stefan George, ein Territorium der abgezirkelten Ordnung. Mit einer gewissen Lässigkeit ruht sich hier jemand aus von patriotischen Zwängen. In einem Abschiedsbrief kurz vor seinem Freitod im Dezember 1935 sieht sich Tucholsky ein letztes Mal „im Park Monceau sitzen“ – aber das Glück der Abgeschiedenheit ist dahin.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006

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