Michael Buselmeiers Gedicht „Küchengedicht“

MICHAEL BUSELMEIER

Küchengedicht

„Die Kohlrabis sind ein Gedicht“
aaaaaaaWas ist ein Gedicht? fragt Line
aaaaaaaaaaaaaaWas ist eine Seele?
Die Seele des Gedichts
aaaaaaaist ein verkleckertes Tischtuch
Die Seele des Gedichts
aaaaaaaist eine vermatschte Kartoffel
Die Seele des Gedichts
aaaaaaaist ein angeknabberter Tortenboden
Die Seele des Gedichts
aaaaaaaist ein angeknabberter Maikäfer
Ein Marienkäfer im Winter
aaaaaaader stirbt ja
aaaaaaaaaaaaaaoh die arme Wutz!
Max un Moritz
aaaaaaahaben sich selbst aufgefressen
aaaaaaaaaaaaaaals Kuchen!

1980

aus: Michael Buselmeier: Die Rückkehr der Schwäne. Verlag Das Wunderhorn, Heidelberg 1980

 

Konnotation

Der 1938 geborene Michael Buselmeier gehört einer literarischen Generation an, die in den 1970er Jahren der subjektivistischen Überzeugung huldigte, „dass schlechthin alles, was man sieht und womit man sich beschäftigt, wenn man es nur… direkt genug wiedergibt, ein Gedicht werden kann, auch wenn es sich um ein Mittagessen handelt“ (Rolf Dieter Brinkmann). Auch das 1980 entstandene „Küchengedicht“ führt mitten hinein in die alltägliche Lebenswelt des Kochens und Essens, in der sich aus einer Redewendung und einer Kinderfrage poetisch-surrealistische Funken schlagen lassen.
Die Frage nach der Poesie und nach der Seele provozieren hier absurd-heitere Definitionen, in denen sich Kinderphantasien, poetische Bildfindungen und der grausige Scherz der Bildergeschichten Wilhelm Buschs miteinander vermischen. Dabei wird Buschs böse Pointe weiter radikalisiert: So steht am Ende dieses Alltagsgedichts die finster-komische Vorstellung von Max und Moritz, die sich als Kannibalen selbst verzehren.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

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