Nadja Küchenmeisters Gedicht „vögel im winter“

NADJA KÜCHENMEISTER

vögel im winter

die weichen körper über dem geschrägten fenster
die hellen bäuche gegen das zertretne blau ich
kann nicht atem holen meine hände zittern so kalt
und dann die stille hier im dunklen raum nur draußen
lautes flügelschlagen hör ich stetig drinnen
dieses klopfen leise ungewiss und meine augen

lass ich immer offen und weiß doch nicht
ob noch ein mensch um diese zeit nicht müde ist
und auch die schwärme die sich über dächern finden
verloren weil im winter eingefroren sieht
er wird die augen mit den händen sich verbinden
was weiß er denn vom süden und der hitze gleißend
und davon dass ein mensch im dunkeln offnen auges liegt

2003/2004

aus: Jahrbuch der Lyrik 2006. Hrsg. v. Christoph Buchwald u. Norbert Hummelt. S. Fischer Verlag,

 

Konnotation

Schlaflosigkeit schärft die Sinne, stimuliert die Fieberträume und Nachtgewächse. Das lyrische Ich der 1981 geborenen Nadja Küchenmeister, die man zu den „Leipziger Lerchen“, den jungen talentierten jungen Dichtern am Literaturinstitut in Leipzig rechnet, harrt hier aus in einem dunklen Raum, in den die Geräusche der Außenwelt eindringen. Und offenkundig sind es die Umrisse von Vögeln, die das unruhig auf seiner Schlafstätte verharrende Ich registriert.
Das Fließen der Verse wird unterbrochen durch den typografisch abgesetzten Hinweis auf die offenen, unruhig registrierenden Augen des Ich. Da erfolgen also zunächst verborgene Blicke auf Vögel im Winter, aus einem dunklen Raum. Am Ende setzt das Gedicht dagegen die Vorstellung der gleißenden Helligkeit des Südens. Es bleibt für das lyrische Ich ein Rest an Ungewissheit. Im Zentrum der Beobachtung stehen nicht die Vögel im Winter, sondern die Unruhe des schlaflosen Subjekts.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

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