Nicolas Borns Gedicht „Drei Wünsche“

NICOLAS BORN

Drei Wünsche

Sind Tatsachen nicht quälend und langweilig?
Ist es nicht besser drei Wünsche zu haben
unter der Bedingung daß sie allen erfüllt werden?
Ich wünsche ein Leben ohne große Pausen
in denen die Wände nach Projektilen abgesucht werden
ein Leben das nicht heruntergeblättert wird von Kassierern.
Ich wünsche Briefe zu schreiben in denen ich ganz enthalten bin –.
Ich wünsche ein Buch in das ihr alle vorn hineingehen und hinten herauskommen könnt.
Und ich möchte nicht vergessen daß es schöner ist
dich zu lieben als dich nicht zu lieben

1970/71

aus: Nicolas Born: Gedichte, hrsg. v. Katharina Born, Wallstein Verlag, Göttingen 2004

 

 

Konnotation

Jeder ist eine gefährliche Utopie, wenn er seine Wünsche, Sehnsüchte, Imaginationen wiederentdeckt unter dem eingepaukten Wirklichkeitskatalog“ Mit diesem Bekenntnis in seinem Gedichtband Das Auge des Entdeckers (1972) hatte der Dichter Nicolas Born (1937–1979) die Poetik einer weltoffenen Subjektivität formuliert, die sich Mitte der 1970er Jahre noch gegen politische Imperative verteidigen musste.
Nach der Niederlage der Studentenbewegung versuchte man „das Gedicht im Handgemenge“ (Jürgen Theobaldy) einzig für politische Aufgaben zu verpflichten. Nicolas Born setzt dagegen in seinem 1970/71 entstandenen Gedicht das Recht auf „drei Wünsche“, die sonst nur im Märchen gewährt werden. Es sind noch Spurenelemente des politischen Zeithintergrunds sichtbar: terroristische Aktivitäten, nach denen „die Wände nach Projektilen abgesucht werden“. Aber am Ende steht eine schutzlose Liebeserklärung.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006

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