Peter Gans Gedicht „Mythische Landschaft“

PETER GAN

Mythische Landschaft

Es kräht kein Hahn, und wonach soll er krähn?
Die Seelen sind aus Süßholz und Zement,
nicht eine Schwalbe lässt im All sich sehn,
nicht eine Lerche lobt das Firmament.

Kein Hase hoppelt durch den jungen Klee,
der Bach verschwindet unterm Seifenschaum,
ein Drahtgehege schützt das letzte Reh,
ein letzter Mensch verlobt sich einem Baum.

1970

aus: Peter Gan: Ausgewählte Gedichte. Hrsg. von Friedhelm Kemp. WallsteinVerlag, Göttingen 1994

 

Konnotation

Der gebildete Jurist und weltläufige Schriftsteller Peter Gan (1894–1974) arbeitete zunächst als Korrespondent für die Frankfurter Zeitung und ging nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1937 ins Exil nach Paris. Als Dichter bevorzugte er die leichte, ironische Tonlage. Für die Literaturkritiker der Nachkriegszeit war unstrittig, dass Gan „die heitersten, lustigsten Gedichte seit Morgenstern geschrieben hat, sprühende und knisternde Gebilde, in denen die Erdenschwere zauberisch aufgehoben erscheint“. (Max Rychner) Aber es gibt bei Peter Gan auch dunkle Töne.
In einem seiner letzten Gedichtbände, den Soliloquia von 1970, bilanziert Gan in spät-expressionistischer Bitterkeit die Lage des Menschengeschlechts. Für die alten mythischen Figuren gibt es keine symbolischen Entsprechungen in der Gegenwart, die Utopien sind abgestorben, die Zeit der Emphase ist abgelaufen. Die Natur ist verwüstet, die Zivilisation gewaltsam eingehegt, jedwede Hoffnung hat sich verflüchtigt.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

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