Rainer Maria Rilkes Gedicht „Der König von Münster“

RAINER MARIA RILKE

Der König von Münster

Der König war geschoren;
nun ging ihm die Krone zu weit
und bog ein wenig die Ohren,
in die von Zeit zu Zeit

gehässiges Gelärme
aus Hungermäulern fand.
Er saß, von wegen der Wärme,
auf seiner rechten Hand,

mürrisch und schwergesäßig.
Er fühlte sich nicht mehr echt:
der Herr in ihm war mäßig,
und der Beischlaf war schlecht.

1908

 

Konnotation

Dieses für Rilke (1875–1926) so gar nicht charakteristische Gedicht entstand im Frühsommer 1908 in Paris, als der Dichter mit seinen Meisterwerken „Archaïscher Torso Apollos“ und „Der Panther“ beschäftigt war. Durch den Bildhauer Auguste Rodin, bei dem er als Privatsekretär arbeitete, hatte sich Rilke zur Poetik der sogenannten „Ding-Gedichte“ anregen lassen. Sein „König von Münster“ wendet allen Überlegungen zur Artistik des „Kunst-Dings“ den Rücken zu und entwirft eine komische Szene.
Die Erhabenheit der Majestät schlägt hier um in Lächerlichkeit: Der König erscheint als „schwergesäßiges“ Wesen, den auch noch das Signum seiner herausragenden Position, die Krone über die Ohren rutscht. Selten hat Rilke so komisch geschrieben, und selten hat er sich von der Eigendynamik des Reims und der Volksliedstrophe zu so vergnüglichen Werken anfeuern lassen. Im Band Neue Gedichte. Anderer Teil von 1908 wird das Gedicht umrahmt von Texten, die von ähnlich schwarzem Humor und Sarkasmus beseelt sind: von der „Legende von den drei Lebendigen und den drei Toten“ und vom „Totentanz“.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

0:00
0:00