Renate Rasps Gedicht „Bildnis“

RENATE RASP

Bildnis

Ich rasiere
mir den Kopf.
Ohne Zähne
sehe ich dich
aus zwei dicken
Warzen an.
Mein Mund
wenn ich lache!
Ich bin fleckig.
Ich antworte
mit Gestank.
Meine Fingerspitzen
sind scharf und
ich säge Holz
mit den Händen.
Ich fühle mich
kalt an. Wenn
ich aufstehe
bleibt auf
dem Stuhl eine
Haut zurück.
Ich fresse
meinen eigenen Dreck.
Ich bin Dreck
in einem Haufen
schmutziger Wäsche.
Sage bloß
daß du mich nicht liebst, jetzt!

1978

aus: Renate Rasp: Junges Deutschland. Gedichte. Carl Hanser Verlag, München 1978

 

Konnotation

Drastik und Aggressivität sind die bevorzugten Schockstrategien der 1935 geborenen Dichterin Renate Rasp, um literarisch in die Offensive zu gehen und poetische Intensität zu erzeugen. Bekannt wurde die Autorin 1968 durch einen kleinen Literaturskandal: Eine Lesung auf der Frankfurter Buchmesse absolvierte sie mit entblößten Brüsten. In diesem bösen Anti-Liebesgedicht tritt das lyrische Ich in einem masochistischen Akt der Selbstverletzung und Selbsterniedrigung seinem hass-geliebten „Du“ gegenüber.
Alle romantischen Emotionen werden durch die brutale Demonstration körperlicher Hässlichkeit vernichtet. Die Ingredienzien der Liebe – absolute Hingabe, wechselseitige Anerkennung, Schönheit und Ausschließlichkeit der affektiven Verbindung – werden in Rasps Gedicht mit kaltem Hohn bedacht. In den 1970er Jahren, der literarischen Dekade der „Neuen Subjektivität“, markierte Renate Rasps Poesie einen Extremfall der Subjektivitäts-Verneinung.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

0:00
0:00