Robert Gernhardts Gedicht „Plädoyer“

ROBERT GERNHARDT

Plädoyer

Daß er die Kindlein zu sich rief,
daß er auf Wassers Wellen lief,
daß er den Teufel von sich stieß,
daß er die Sünder zu sich ließ,
daß er den Weg zum Heil beschrieb,
daß er als Heiland menschlich blieb –
ich heiße Hase, wenn das nicht
doch sehr für den Herrn Jesus spricht.

1981

aus: Robert Gernhardt: Wörtersee. Zweitausendeins, Frankfurt a.M. 1981

 

Konnotation

Als pathetischen Theologen kann man sich den Meister des komischen Gedichts Robert Gernhardt (1937–2006) kaum vorstellen. So hat auch ein lyrischer Gottesbeweis aus seiner Hand seine humoristischen Untiefen. Die Ereignisse, die im Neuen Testament geschildert sind, werden hier zunächst in fast liturgischer Gebetsform aufgerufen – dann aber ändert sich die Diktion und der Ton kippt um in eine naive Lustigkeit.
Gernhardt benutzt und parodiert in seinen Gedichten auf unterschiedlichste Weise Gattungen religiöser Literatur: den Psalm, das Gebet, den Choral oder die Litanei. Und er adaptiert viele Stoffe aus der Bibel, seien es der Schöpfungsbericht oder die Briefe des Paulus (vgl. Lyrikkalender, 19.12.2008). Freilich werden kirchentreue Ehrfurcht und eine weltabgewandte Frömmigkeit prinzipiell durch Ironie ausgehebelt.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008

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