Rolf Bosserts Gedicht „Lied“

ROLF BOSSERT

Lied

Wohin mich mein Weg heute führt:
Ich weiß es am Morgen noch nicht.
Am Abend dann, peinlich berührt:
Auf der Milchstraße wieder kein Licht!

Verbotsschilder sprechen für sich.
Und dennoch: Ich pfeif aufs Verbot!
Im Sternenwald füttere ich
Den Großen Bären mit Brot.

So treib ichs seit einiger Zeit
Dein Herrgott begegne ich kaum
Ein paar Mal nur seh ich ihn weit
Verloren im krummen Raum.

Langsam kommt dann die Müdigkeit auf:
Ich habe das Trampen verlernt.
Ich schlage mein Himmelszelt auf,
Einen Steinwurf vom Weltall entfernt.

1979

aus: Rolf Bossert: Ich steh auf den Treppen des Winds, Schöffling & Co., Frankfurt a.M. 2006

 

Konnotation

Der Traum vom Dichter als „sanftem Guerillero“, den die rumäniendeutschen Dichter der Aktionsgruppe Banat um 1971/72 in Umlauf brachten, endete für Rolf Bossert (1952–1986) jäh. Mit seinem bitteren Witz und grimmigen Spott, mit dem er auf den Herrschaftsanspruch des rumänischen Zwangskommunismus reagierte, geriet Bossert bald in Konflikt mit den Kulturpolitikern des „Conducators“ Nikolae Ceausescu. Mit fortschreitender Differenzierung seiner ästhetischen Mittel kam es bald zum großen Crash mit der Macht.
Das im Juni 1979 entstandene „Lied“ Bosserts formuliert eine in kosmische Metaphorik eingekleidete Aufbruchsphantasie. Das lyrische Subjekt sieht sich von Reglementierungen umstellt und signalisiert zugleich seine Bereitschaft zur Renitenz; die Sehnsuchtsbewegung scheint zu den Sternen zu führen. Die Außenseiter-Position des Dichters ist jedenfalls klar markiert: Er hat seinen Standort weit abseits der markierten Wege – „einen Steinwurf vom Weltall entfernt“.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

0:00
0:00