Sarah Kirschs Gedicht „Keltisch“

SARAH KIRSCH

Keltisch

Ich sehe eine Erde die mir
Gar nicht gefällt Sommer
Vogellos Kühe
Milchlos Männer
Mutlos werde mich
Lieber! empfehlen

1992

aus: Sarah Kirsch: Sämtliche Gedichte. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2005

 

Konnotation

Wenn keltische Götter aus der Eisenzeit mit dem hochzivilisierten Planeten des 20. Jahrhunderts in Berührung kommen, kann es zu großen Enttäuschungen kommen. Das lyrische Ich jedenfalls, das im Gedicht von Sarah Kirsch unter der Sigle „keltisch“ auftritt, gelangt zu einem höchst ernüchternden Befund, der die sofortige Abreise vom Planeten Erde nahe legt.
Die poetische Miniatur der 1935 in Halle/DDR geborenen Sarah Kirsch, die zuerst in ihrem Band Erlkönigs Tochter (1992) veröffentlicht wurde, scheint eine simple Botschaft aus dem Geiste des ökologischen Pessimismus zu verkünden: Die Erde ist unbewohnbar, anzuraten wäre der sofortige Abgang. Auch den Vertretern des männlichen Geschlechts werden miserable Zensuren ausgestellt. Aber der poetische Wahrspruch erweist sich als vertrackter als auf den ersten Blick vermutet: Denn innerhalb der Spezies der „mutlosen Männer“ scheint es doch ein Exemplar („Lieber!“) zu geben, das die Ausnahme von der Hoffnungslosigkeits-Regel darstellt.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006

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