Unica Zürns Gedicht „Ich weiss nicht, wie man die Liebe macht“

UNICA ZÜRN

Ich weiss nicht, wie man die Liebe macht

Wie ich weiss, ,macht‘ man die Liebe nicht.
Sie weint bei einem Wachslicht im Dach.
Ach, sie waechst im Lichten, im Winde bei
Nacht. Sie wacht im weichen Bilde, im Eis
des Niemals, im Bitten: wache, wie ich. Ich
weiss, wie ich macht man die Liebe nicht

1959

aus: Unica Zürn: Gesamtausgabe Bd. 1 – Anagramme, Brinkmann & Bose, Berlin 1988

 

Konnotation

Mit den polaren Kategorien Genie und Wahnsinn, Poesie und Schizophrenie hat man das Werk der Dichterin und Zeichnerin Unica Zürn (1916–1970) zu charakterisieren versucht. Die Beziehung der Dichterin zum Künstler Hans Bellmer, den sie 1953 in Paris kennenlernte, markiert dabei eine biografische und ästhetische Zäsur, begann die Künstlerin doch seither mit der Arbeit an ihren Anagrammen.
Aus ihren Tagebucheintragungen geht hervor, dass Zürn ein Zitat, einen Kinderreim oder eine Redewendung aufgriff und dann zu anagrammatischen Gedichten verwandelte. 1959 entstand in Ermenonville das erschütternde Gedicht über die Unfähigkeit zu lieben. Den Rahmen der Buchstaben- und Wort-Umstellungen bildet hier die anrührende Zeile: „Ich weiss nicht, wie man die Liebe macht.“ Nach mehrfachen schmerzhaften Trennungen von ihrem Gefährten und längeren Aufenthalten in psychiatrischen Kliniken nahm sich Unica Zürn im Oktober 1970 durch einen Sprung aus dem Fenster der Wohnung Hans Bellmers das Leben.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006

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