Volker Sielaffs Gedicht „Diesen Winter“

VOLKER SIELAFF

Diesen Winter

als du kamst,
und ich Mandarinenschalen verbrannte
und dich fragte Wo bist du gewesen?
als ich ein Badetuch um deine Schultern legte
und sagte Ich will es nicht wissen
als ich lächelte
und die schwarze Schleife in deinem Haar löste
als du sagtest Ich auch

nach 1990

aus: Volker Sielaff: Postkarte für Nofretete, zu Klampen Verlag, Springe 2003

 

Konnotation

Das beiläufige Sprechen in den Gedichten des 1966 in der Lausitz geborenen Volker Sielaff zielt auf eine diskrete metaphysische Existenz-Erkundung. In skeptischer Selbstvergewisserung fragt der Autor unentwegt nach der Verlässlichkeit der eigenen Wahrnehmung und nach dem Standort, von dem aus die Welt in den Blick genommen werden kann.
Es ist ein Augenblick der Eifersucht, eines Zwiespalts, der sich hier zwischen Begehren und Misstrauen auftut. Das lyrische Ich wischt bei der Begrüßung des Du alle Fragen beiseite – eine neue Zuwendung ist da, aber die ungelösten Dinge wirken fort. Vielleicht sind auch mehrere Erfahrungsmomente in „diesem Winter“ übereinander geschichtet – das Ich kann jedenfalls den Ambivalenzen nicht entkommen. Sielaffs Miniatur ist Anfang der 1990er Jahre entstanden.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006

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