Winfried Krafts Gedicht „Paulus schrieb an die Apostel“

WINFRIED KRAFT

Paulus schrieb an die Apostel

Paulus schrieb an die Apostel:
„Ich taufe alle Frauen Chrostel!“
Doch Petrus schrieb in der Epistel:
„Das heißt nicht Chrostel, sondern Christel.
Und wenn ich gegen eins was habe,
Sind’s Fehler, nur dem Reim zulabe!“

1972

aus: Welt im Spiegel. WimS 1964–1976. Hrsg. v. R. Gernhardt / F.W. Bernstein / F.K. Waechter. Zweitausendeins. Frankfurt a.M. 1979

 

Konnotation

Vom Dichter Winfried Kraft sind „die Lebensdaten unbekannt“, wie uns eine Anthologie mit „komischen Gedichten“ mitteilt. Es spricht einiges dafür, dass die Autorenschaft dieser 1972 in der Satire-Zeitschrift Pardon erstmals veröffentlichten Miniatur einem Aktivisten der „Neuen Frankfurter Schule“ zuzuschreiben ist, mit einer hohen Wahrscheinlichkeit ist der Dichter Robert Gernhardt (1937–2006) der Verfasser.
Ein kleiner Blick auf motivverwandte Gedichte des Meisters der Humoreske lässt erahnen, dass bei Pauls’ Mahnung an die Apostel eben doch Robert Gernhardt federführend gewesen sein muss. Ist es bei diesem fiktiven Paulus-Brief ausschließlich der kuriose Reimzwang, der Vergnügen bereitet, sind es in Gernhardts Poem „Weils so schön war“ (nach 1971) die Momente einer schönen Absurdität: „Paulus schrieb an die Apatschen: / Ihr sollt nicht nach der Predigt klatschen. // Paulus schrieb an die Komantschen: // Erst kommt die Taufe, dann das Plantschen.“

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

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