Wolf Biermanns Gedicht „Und als wir ans Ufer kamen“

WOLF BIERMANN

Und als wir ans Ufer kamen

Und als wir ans Ufer kamen
Und saßen noch lang im Kahn
Da war es, daß wir den Himmel
Am schönsten im Wasser sahn
Und durch den Birnbaum flogen
Paar Fischlein. Das Flugzeug schwamm
Quer durch den See und zerschellte
Sachte am Weidenstamm
aaaaa– am Weidenstamm.

Was wird bloß aus unsern Träumen
In diesem zerrissenen Land
Die Wunden wollen nicht zugehn
Unter dem Dreckverband
Und was wird aus unsern Freunden
Und was noch aus dir, aus mir –
Ich möchte am liebsten weg sein
Und bleibe am liebsten hier

ca. 1976

aus: Wolf Biermann: Preußischer Ikarus, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 1978

 

Konnotation

Mit viel Enthusiasmus und Begeisterung für das antikapitalistische Gerechtigkeitsversprechen des zweiten deutschen Staates war der 1936 geborene Dichter und Liedermacher Wolf Biermann 1953 aus seiner Vaterstadt Hamburg in die DDR übergesiedelt. Aber die Entwicklung des „real existierenden Sozialismus“ enttäuschte ihn bald. Sein berühmtes Kölner Konzert am 13. November 1976 besiegelte seine gewaltsame „Ausbürgerung“ aus der DDR.
Biermanns zweistrophiges Lied ist kurz vor seiner Ausbürgerung entstanden und spricht von der Zerrissenheit zwischen zwei Vaterländern. Die erste Strophe handelt von den Augen- und Sinnestäuschungen derjenigen, die auf ihrer Lebensreise die Orientierung verloren haben. Mit der Kahnfahrt wird ein Lieblingsmotiv von Biermanns Vorbild Heinrich Heine aufgerufen. Während zunächst von zwei Liebenden im Kahn die Rede ist, folgt im zweiten Teil die Politisierung des Gemütszustands.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006

2 Antworten : Wolf Biermanns Gedicht „Und als wir ans Ufer kamen“”

  1. Wiwesch sagt:

    Die drittletzte Zeile ist falsch, oder?
    soweit ich erinnere: “ und was noch aus dir, aus mir“

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