Maja Vidmar: Gegenwart

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Maja Vidmar: Gegenwart

Vidmar-Gegenwart

DER REGENBOGENGESCHMACK

Gerade jetzt strahlt
ein Regenbogen auf
meine Tasse und
meinen warmen
Tee.

Seltsam vorgebeugt schlürfe
ich ihn vernehmlich
von der Teekimm,
und alles ist
so seit
je.

 

 

 

Das Schreiben, die Liebe, die Kinder

sind die drei Pole, zwischen welchen sich die Welt von Maja Vidmars Gedichtband ebenso beglückend wie schmerzlich ausspannt. Vidmars Gegenwart ist die poetische, aber schonungslose Bestandesaufnahme einer Frau, Dichterin und Mutter. Gedichte über die erschriebenen und leiblichen Kinder, die geborenen und ungeborenen, Gedichte über die Männer – so lächerlich „mit der ewig geschulterten Schaufel“ und doch „so schön im Spiel“ –, Gedichte über die eigenen Wünsche, Ängste und Hoffnungen.
Gegenwart ist einer jener subtil durchkomponierten Gedichtbände, die man mit Gewinn zusammenhängend von vorne nach hinten durch liest. Aber auch jedem einzelnen dieser schlichten, irisierenden Gedichte gelingt es, in wenigen Zeilen kaum Greifbares aufscheinen zu lassen, die Verflechtungen und Widersprüche des Lebens erhellend in jeweils ein Bild zu fassen. Sanfte und starke Gedichte mit einem unerbittlich klaren Blick auf die eigene „Gegenwart“.

Edition Korrespondenzen, Ankündigung

 

Kind im Kasten

Der Post mag man mancherlei zutrauen, aber dass sich aus einem Briefkasten ein hilfloses Kind meldet, ist eher das Vorrecht der Poesie. Freilich ist die slowenische Dichterin Maja Vidmar mit dem unverhofften Ereignis alles andere als zufrieden. „Soll es doch jemand abholen“, murrt sie, „denn ich gehe schreiben / schreiben schreiben.“ Es ist ein Schreiben, das sich zwischen Surrealismus und Folklore bewegt. Dafür ist die 1962 in Nova Gorica geborene Autorin mehrfach ausgezeichnet worden. Merkwürdig oft ist in ihrem zweisprachigen Band Gegenwart von Kindern die Rede, deren reale oder fiktive Existenz das Schreiben hemmt oder befruchtet. „Nun überschwemmt mich die Schwäche Mutterschaft“, heißt es einmal. Aus ungewollter und zugleich ersehnter Liebe ist der Stoff dieser Poesie. Maja Vidmar traktiert ihn mit skeptischem Humor. So erfüllt sich der Traum von einem schönen Kinderkopf, der lebt und warm und glücklich ist:

doch
mich stört sein Plastikhals und
alles, was ihm
fehlt.

In ihren besten Texten ergänzt der Leser das Fehlende. Damit erfüllt sich die Bitte der Dichterin:

Gib mir ein ganzes Gedicht.

H. H. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.1.2008

Gegenwart

heißt der jüngste Gedichtband der 1961 geborenen, vielfach ausgezeichneten slowenischen Lyrikerin Maja Vidmar, und der Titel ist Programm, geht es in diesen – von Fabjan Hafner empfindsam übersetzten – Gedichten doch um das Hier und Jetzt des Alltags, der Wahrnehmung, gefühlter Befindlichkeit. Die Koordinaten – Haus, Kinder, Schreibtisch, Briefkasten, Umgebung – sind abgesteckt, aber sollte dies ein Hindernis sein? Nicht für die poetische Phantasie von Maja Vidmar, die kleinste Begebenheiten zum Anlass nimmt, in produktives Nachdenken zu geraten: einen Spendenaufruf für Kinder in Not („Die Post“), den Schatten eines Balkongeländers („Auf einem Spaziergang“), den Reflex eines Regenbogens auf der Teetasse („Der Regenbogengeschmack“). Sinnlichkeit und Sinnieren bilden bei Vidmar eine unauflösliche Einheit; der Gedanke hakt sich am Konkreten fest, um mitunter träumerische Blüten zu treiben. In diesen Träumen schillern Trauer, Sehnsucht, Angst, Liebesschmerz, Schuld, Hoffnung, Verzweiflung – eine bunte Mischung von Gefühlen, wie das Gedicht „Winziges Meisengebet“ sie anrührend auflistet. Nein, Maja Vidmar beschwört keine idyllische Gegenwart. Vielmehr zeigt sie die Risse, die durch Bewusstsein und Dinge gehen und in das Paradox einer andern „Wahrheit“ münden. So im Gedicht „Die Gegenwart“:

Wenn man sie fällt,
steht die Kiefer.

Ihr kommt nicht in den Sinn,
mit ihrer ausgerissenen,
erdigen Wurzel
über die Strasse zu fliehen.

Wenn man sie fällt,
ist sie am meisten Baum.

Ob Notate, Sinn- oder Gelegenheitsgedichte – Vidmars lakonische Verse, „am allerliebsten aus gewöhnlichen Wörtern“ gemacht, sind ungewöhnlich sensibel und stark.

Ilma Rakusa, Neue Zürcher Zeitung, Februar 2007

 

 

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Maja Vidmar – Monat der Autorenlesung 2012.

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