Marcus Roloff: Zu Christine Lavants Gedicht „Wie gut“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Christine Lavants Gedicht „Wie gut“ erschienen in Christine Lavant: Zu Lebzeiten veröffentlichte Gedichte. Wallstein Verlag, Göttingen 2014

 

 

 

 

CHRISTINE LAVANT

Wie gut

Wie gut, daß ich verborgen bin
und niemals wieder sichtbar werde.
Mein Kern – im Widerspruch zur Erde –
begab sich selbst zum Monde hin,
jetzt kannst du ruhig schlafen.
Der Ort, wo wir uns trafen,
war niemals wirklich in der Zeit.
Verzeih mir dies – aus Einsamkeit
herausgeschälte – Wissen.
Vielleicht fühlt sich dein Kissen
trotzdem auch manchmal tauig an,
vielleicht verkündet dir der Hahn
vom Hühnerbaum her oft zu grell,
dass jetzt der Morgen wieder hell
und gläsern über Deinem Dach
heraufsteigt, während du ganz schwach
und übernächtig bist?
Ich bin es nicht, die dich dann quält,
ich bin die Magd, die Äpfel schält
im Mond und keinen ißt.

 

Vom Mond bröckelndes Licht

Sie wollte nicht mehr rilkisch sein, und doch quält die Autorin dieses verstörend-schönen Gedichts die Frage nach Tiefe und Intensität des Ich-Seins durch die Zeilen. Bei Rainer Maria Rilke war es gnadenlose Selbstbefragung, die sich zunehmend auf das mystisch verwobene Gefüge von Ding und Welt im Zeichen eines großartigen „Hierseins“ erstreckte. Das Ich steht dabei allerdings auch schutz- und wehrlos etwas grundsätzlich Mächtigerem gegenüber. Ob Natur und Landschaft oder Kunst und Geschichte: Das Ich und sein Bewusstsein von sich ist angesichts dessen ununterbrochen zum Verschwinden hin unterwegs.
Hier, in einer Art erneuertem Tagelied – der Hahn kräht, der Tag bricht an, bis zum Äußersten vereinsamt, knietief im Verschwinden – glimmt im Gegenüber nur noch schwach die Möglichkeit des Dialogs nach. Die Vokabel Du wirkt reflexhaft, die Anrede wie ein an sich selbst gerichtetes Sprechen mit nachlassender Kraft. Ob sie mit einem menschlichen Liebesgegenüber identifiziert werden kann, für das ich, der Leser, so gern optieren würde, ist durchaus die Frage. Dieses unbekannte, selber verborgene Gegenüber kann schier nur Rätsel sein, wie man selbst. Oder ist Gott gemeint? Und wenn ja, was spielt er für eine Rolle? Wäre Gott nicht auch nur ein weiteres Wort für unendliche, grundlose Gleichgültigkeit von Anbeginn? Ist Gott nicht der Inbegriff eines Missverhältnisses vom Ich als einzig verlässlicher Quelle alles Menschenmöglichen und jenem als sterblichem Kern, der uns endgültig genommen werden wird? Ob die Mondverortung einen entscheidenden Hinweis auf Klärung und Perspektive bietet, steht durchaus dahin.
Es sind schöne Fragen, die Christine Lavant stellt, und es sind schöne klare Bilder der Nacht. Sicher scheint, dass mich diese Zeilen umlauern, umstellt haben wie ein Rudel Wölfe, oder etwas, das mit dem Finger auf mich und meine Existenz zeigt und fragt, wo ich gewesen bin, als die Einsamkeit sich herauszuschälen begann aus dem Leben und anfing, mich unmerklich einzuschalen. Denn was sind das für Zeilen? Eines sind sie gewiss: unendlicher Wohllaut, wie Georg Trakl es einmal ausdrückte. Und Schönheit wie Klarheit der Bilder kommen nicht nur durch das regelmäßige Reimschema (umarmend an Anfang und Ende, in Paaren dazwischen) und die jambische Grundstruktur zustande, sondern auch durch die übernächtige Szenerie selbst. Übernächtig – diese Vokabel kann in verschiedene Richtungen strömen: sie kann die wie ein Zelt über alle und alles gezurrte Nacht sein; sie kann auf das kosmische Dunkel verweisen, auf das vom Mond bröckelnde Licht; und sie kann den ausgehöhlten, so genannten übernächtigten Blick eines Menschen bezeichnen, der tagelang nicht geschlafen hat.
Hinzu kommt der katholisch grundierte Gedanke, in dem Gott als großes paradoxales Zugleich aufgehoben erscheint und welcher das, was wir Zeit nennen, als etwas zwischen zwei Ewigkeiten Geschobenes betrachtet, und das heißt sub specie aeternitatis zu Vernachlässigendes. Angesichts einer Ewigkeit, die quasi nur Pause macht, um dem im „Widerspruch zur Erde“ stehenden Menschen Raum zu geben, ist Zeit nichts als ein trudelndes Maßband, haltlos flatternd in All und Nacht. Hoch darüber erscheint Luna/Selene als eine Figuration, die sich selbst nirgends festhalten kann. Zurückgespiegelt aufs Subjekt steht diese Konstellation als eine das Ich negierende, mondferne Abwesenheit parat, die den Liebesschmerz grundsätzlich neutralisiert – wenn das geht.

Marcus Roloff, erweiterte Fassung eines Beitrags in Michael Braun (Hrsg.): Lyrik-Taschenkalender 2017, Wunderhorn Verlag, 2016

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