Margarete Hannsmann: Drachmentage

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Margarete Hannsmann: Drachmentage

Hannsmann/Erben-Drachmentage

ORCHOMENOS

Auf den Stufen des bald wieder
zugewachsenen Theaters
in der Mittagssonne
das Stück heißt Natur
Schauspieler
die Tiere
Schildkröte spricht den Prolog

Unten beim Brunnen
abseits ein paar Häuser
Grundriß des Tempels
für welche Göttin?

Säulenblasen
ein Altarstein
überzogen von jenem atemstockenden
Blau mit dem sie sonst Türen anstreichen

Oder vielleicht haben die dort wohnten
Stoffe auf dem Marmor gefärbt
auch ihr Haus beginnt wieder einzufallen
fort
sagt ein Mann
hier nix Arbeit nix Geld
und läßt sein Maultier trinken

 

 

 

Dichterin, als die Kinder aus dem Haus waren

Als Margarete Hannsmann im Jahre 1964 mit ihrem Roman Drei Tage in C., eine Auseinandersetzung mit dem Faschismus, erschien, kam sie zu spät. Das Thema war in der Bundesrepublik vorerst abgehakt. Als Margarete Hannsmann 1972 ihren Gedichtband Das andere Ufer vor Augen veröffentlichte, der erstmals DDR-Gedichte von einer westdeutschen Schriftstellerin enthält, kam sie zu früh. Von der heute 57jährigen, die seit über einem Jahrzehnt mit HAP Grieshaber auf der Achalm bei Reutlingen zusammenlebt und dessen Holzschnitte einen Teil ihrer Werke illustrieren, liegen bisher mehr als zehn Bücher vor: Lyrik – mit Ausnahme des frühen Romans Drei Tage in C. und Chauffeur bei Don Ouijotewie Hap Grieshaber in den Bauernkrieg zog. Die Lebensgeschichte des Künstlers aus der historisch verfremdeten Perspektive seiner Lebensgefährtin.
Margarete Hannsmann stammt aus Heidenheim an der Brenz. Sie ist die Tochter eines Volksschullehrers, der schwer kriegsbeschädigt aus dem Ersten Weltkrieg kam, völkisch ausgerichtet war und begeistert für die Nazis votierte. In dieser Atmosphäre wuchs Margarete Hannsmann auf. Sie war Jungmädelscharführerin, dann Grenz- und Auslandsreferentin der Hitlerjugend mit 15 Jahren. In ihrem Elternhaus gab es die Werke von Hermann Hesse und Ludwig Finckh. Schwäbische Autoren und Freunde, von denen der eine sich lange vor 1933 in der Schweiz niedergelassen hatte und der andere – in Deutschland geblieben – sich dem Nationalsozialismus zuwandte. Margarete Hannsmanns Vater schrieb eine Finckh-Biographie. Und die Tochter erlebte, wie dort aus dem vor 1933 guten Hesse nach 1933 ein dekadenter Hesse wurde.
Es gab Streit zwischen der Tochter und dem Vater. Die Tochter verteidigte die Werke Hesses. Margarete Hannsmann erinnert sich:

Es war für mich junges Mädchen der Anfang eines Umdenkungsprozesses. Den Hesse hab ich mir nicht nehmen lassen.

Mit 17 Jahren lernte sie in Stuttgart einen Hamburger Journalisten kennen. Einen Gegner der Nazis, der zeitweilig im KZ saß und dann Berufsverbot hatte. Margarete Hannsmann besuchte zu jener Zeit die Schauspielschule. Sie verliebte sich in den Mann, ein Sohn wurde geboren, dann wurde geheiratet, später kam eine Tochter zur Welt. Der Mann wurde Soldat in einer Bewährungskompanie. Und Margarete Hannsmann stand gegen Kriegsende vor der Frage, in die Wehrwirtschaft als Arbeitskraft zu gehen oder an das Fronttheater. Sie entschied sich für letzteres.
Ihr Mann wurde nach dem Zweiten Weltkrieg Verleger. Doch als er die Werke von Karl Marx herausbringen wollte, schritten die amerikanischen Besatzungsbehörden ein. Der Verlag ging in die Brüche, und der Mann, so Margarete Hannsmann, „verlor darüber den Verstand“. Die Frau ernährte die Familie nun als Lernmittelhändlerin, Annoncenakquisiteurin und Puppenspielerin. Zum Schreiben war da keine Zeit. Erst als der Mann 1957 gestorben und als die Kinder aus dem Haus waren, begann sie zu schreiben, erschien ihr Erstling, der zwölfseitige Gedichtband Tauch in den Stein, darin das Gedicht „Mosaik“:

Erst seine Ordnung
stört deinen Wirrwarr
aber vielleicht
hebt der Delphin dich auf
und setzt dich neu zusammen.

Sieben Jahre lang lebte Margarete Hannsmann mit dem Lyriker Johannes Poethen zusammen:

Ich lernte unablässig. Und ich hab unablässig von der Kritik, wenn sie mich wahrgenommen hat, was in die Fresse bekommen. Ich ging von Fehler zu Fehler. Ich las, sah und beobachtete. Heute weiß ich, was man in der Literatur machen darf und was nicht. Aber es war ein langer Prozeß.

Margarete Hannsmann hat in den letzten Jahren ihren eigenen unverwechselbaren Stil gefunden, eine politische Lyrik, die frei von ideologischem Eifer ist. In einem Gedicht über den Radikalenerlaß heißt es:

Wie viele
wurden in diesem sechsundzwanzigsten Jahr
des Grundgesetzes befragt
durchgekämmt?
vierhundert?
viertausend?
vierhunderttausend?
vier sind zuviel.
Um vier Menschen zu denunzieren
braucht es vier mal vier
da ist schon wieder ein Volk unterwegs
Hausleute Nachbarn Freunde Feinde
unversehens
und unterderhand
der Friseur der Tankstellenwart
Menschen die nie den Menschen sahen
über den sie Auskunft erteilen
Erst das Hemd das ihr tragt
und euer Haar
dann wann ihr kommt und geht und mit wem
noch bevor der Hahn dreimal kräht
haben die das Brot mit euch brachen
euch schon verraten
fragt sie doch
fragt eure Väter was euch bevorsteht
fragt sie warum nach Auschwitz kein Gedicht möglich sei

Margarete Hannsmann und die Gedichtbände, die aus ihrem bisherigen Werk herausragen: Zwischen Urne und Stier (1971), Das andere Ufer vor Augen (1972), Fernsehabsage mit Gedichten auf Günter Eich, Paul Celan, Sarah Kirsch, Walter Mehring, Reiner Kunze, Pablo Neruda und Mikis Theodorakis (1974) und der Zyklus Aufzeichnungen über Buchenwald mit Holzschnitten von HAP Grieshaber (1978).
In der Anthologie Deutschland Deutschland (Residenz-Verlag) hat Margarete Hannsmann ihren Lebenslauf in Gedichtform geschrieben. Er beginnt mit den Worten:

Meine Sonne
nannte man Finsternis
ich lernte trommeln
als Morgen war
und träumen ohne Schlaf in Marschkolonne
bevor ich tanzen konnte
Deutschland
ließ seine Kindlein zu sich kommen
gab ihnen eine Fahne
waren wir unschuldig?

Jürgen Serke, aus Jürgen Serke: Frauen schreiben, Fischer Taschenbuch Verlag, 1982

 

 

Zum 100. Geburtstag der Autorin:

Manfred F. Kubiak: Warum die Heidenheimer Schriftstellerin in ihrer Heimatstadt nicht immer geliebt wurde
Heidenheimer Zeitung, 9.2.2021

Fakten und Vermutungen zur Autorin + IMDb + Archiv

 

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