Margarete Hannsmann: Wo der Strand am Himmel endet

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Margarete Hannsmann: Wo der Strand am Himmel endet

Hannsmann/Spellenberg-Wo der Strand am Himmel endet

STERNBILD

Falls die Waage
über der Bucht
von Kalamata stillsteht
wo wir
feigenschwer sitzen
während übers Gebirge
der Mond steigt
kann es geschehn
die Honigmelone
löscht den kleinen linken
Stern aus
nimmt seine Stelle ein
bildet die Waagschale
bis sie gen Westen davonrollt

 

 

 

Nachwort

Die in diesem zweisprachigen Band versammelten Gedichte Margarete Hannsmanns, eine Auswahl aus drei Jahrzehnten, führen uns nach Griechenland. Doch in welches?
Daß es nicht nur ein von der Sonne Homers vergoldetes Orplid sein kann, wird deutlich, wenn die Autorin ihr eigenes Schreiben als elementare Anstrengung erfährt. Als „Raubtier“ erscheint ihr Tag, vor ihm ist Dichten eine gefährliche Auseinandersetzung. Nicht mehr Musengeschenk, muß das Gedicht Stück um Stück den Zähnen der Bestialität entrissen werden, Jagdbeute im Überlebenskampf. Geduld allein genügt nicht länger, Schürfarbeit im „Abraum des Tages“, entsagungsvollfleißige Goldwäschersuche: Kampf ist nötig.
Was aber so dem Rachen der Bestie „Tag“ entrissen wird, kann nicht glattes Gebilde sein, muß Spuren tragen, blutende Ränder, Risse und Brüche, wenigstens verborgene Verletzungsmale, Rhythmusstörungen, untergründige Vibrationen, Zeichen des Acherontischen.
Wie aber zeigt sich dem, der sein eigenes Schreiben in solchem Bild zu begreifen sucht, der griechische Ort? „In der Tiefe der Steinkreis / bleibt leer“, heißt es im Gedicht „Theater in Dodona“. „Das von den Römern errichtete Tor / klafft meinem Abgang entgegen“. Flackernde Schatten füllen die Leere, es hallt etwas nach, doch dieser Nachhall verstärkt nur die gespenstische Abwesenheit („alle Auftritte vertan“).
Was hier in Vergeblichkeit ausklingt, wirkte zu anderer Zeit wie ein Sog. „Wieder zieht es mich dorthin / wo sie mit den alten Waagschalen / Leben zuwiegen“ lesen wir in einem früheren Gedicht. Das Nachhallende („Gleichzeitigkeit / fünftausend Jahre alt“) konnte ehedem zuversichtlich Ernte bedeuten („Leben… / das sie eben / … / vor meinen Augen / ernteten“). Die „alten Waagschalen“ schienen die Jahrhundertabgründe zu überbrücken, man durfte es mit eigenen Augen erfahren, „Drachmentage“, gültige Währung über die Zeiten hin.
Zwischen dem am Ende leerbleibenden Steinkreis in der Tiefe und den das Leben zuwiegenden Waagschalen liegt eine lange Wegstrecke der Begegnung mit Griechenland, mit griechischen Orten, auf der die Wundmale des Dionysos immer stärker hervortreten.
Am Beginn des Weges können „die Dörfer im Hang des Pelion“ zu „Schulen der Freiheit“ werden, läßt sich in Griechenland noch finden, „was man aus unseren Wäldern vertrieb“. Hoffnung treibt in Regionen, „wo noch immer Holz für die Argo wächst“, es scheint im glückhaften Augenblick alles wiederholbar, neues mythisches Abenteuer, dauerhafte Erringung des goldenen Vlieses möglich.
Bald folgt Ernüchterung. „Wo wir die Höhle suchten / hatte sich Militär einbetoniert“. Der glückhafte Augenblick, Moment plötzlicher Verzauberung, noch ist er erfahrbar („neben uns Retsinaflaschen / wartend bis die Nacht heranwächst / … / erst beim zwölften Schlag / sehen wir die Argo weit / draußen im Meltemi segeln“). Manchmal entspringt er der einsamen Begegnung mit dem Meer in der Frühe, bevor die andern zur Stelle sind („Ans Meer gehen / eh sich die Sonne erhebt“ – „sobald die Sonne / höhersteigt / fallen / die Anderen ein“).
Die „Anderen“, es können die Nackten sein „im Schutz der Bäume“, vor denen „die Alte / in schwarze Wolle gehüllt“ sich siebenmal bekreuzigen muß. Touristenströme. Haben sie das Verschwinden des Chiron bewirkt, die „alten Waagschalen“ zum Kippen gebracht? Am Anfang dieser Begegnungen mit Griechenland stehen Gedichte, in denen das „Alte“ noch „schattenlos / … sein Geheimnis preis(gibt)“. Nichts verschließt sich, muß entrissen werden, die Rollen sind einleuchtend verteilt („lauft / werft springt weit hoch / ich sing“ heißt es in „Olympia“). Noch scheint, wo Armut und Kargheit der Landschaft vorherrschen, für immer dafür gesorgt, „daß die Esel nicht aussterben“. Die Natur behauptet ein Übergewicht, das Produkt der Zivilisation wird verschluckt, vergeht „in den grünen Schluchten / im Farn / liegt ein verrostetes Auto“). Wie zeitlos tritt, „abseits der Allerweltsstraßen“, den Rastenden die gastfreundliche Spenderin von „Brot und Wein“ entgegen („nicht jung nicht alt / im einen Arm / den Laib Brot / im anderen die Flasche Wein“).
Das durch Archäologenfleiß freigelegte Alte verbleibt, gleichsam neben der zeitgenössischen Welt, im Einverständnis mit der Natur („Auf den Stufen des bald wieder / zugewachsenen Theaters / in der Mittagssonne / das Stück heißt Natur…“). Kann sich solche Natur vielleicht durch Kargheit dauerhaft vor dem „Raubtierzugriff“ bewahren („auch ihr Haus beginnt wieder einzufallen / fort / sagt ein Mann / hier nix Arbeit nix Geld / und läßt sein Maultier trinken“)? Doch für den Menschen sind es nur augenblickshafte „Stufen im Feigenfrieden“. Auf der Höhe der Erfahrung wird ihre Verlorenheit schmerzlich bewußt („Oben beschwört / der Eremit / blind von der Sonne / vom Wind taub / sein Sterben“) Nur durch Flucht, die sich ihre Hilflosigkeit eingesteht, gelingt Bewahrung. („Eh du zu Stein wirst oben / flieh hinab / zu den Stufen / zur Skene im Feigenfrieden“). Dennoch gewinnt auf diesen Stufen das Leben Gewicht, können noch immer die Waagschalen einen glückhaften Augenblick lang in der Fülle gleichstehen („Falls die Waage / über der Bucht / von Kalamata stillsteht / wo wirf feigenschwer sitzen“). Das Raubtierblut erscheint verwandelt, tropft aus „strotzenden Beeren“ („laß es über mich rinnen / hör nicht zu essen auf / bis der Verfolger weicht: / ich bin wie früher / besudelt vom Maulbeerbaum“).
Wie anders kehrt diese Metapher wieder, die Vergiftung anzeigend, die sich epidemisch auszubreiten droht („Maßlos ergießt es sich über die Hügel / Häuserkrebs / grellweiß / … / metastasendurchwuchertes Attika / wo ich die sanfte Brise im Fächeln der Bäume / atmete Frühlinge lang…“).
Wo das Maß verloren ist, versteint das Leben, wird der Mittag schwarz wie geronnenes Blut („Aber der schwarze Mittag: schon gehörst du ihm / einwärts gemeißelt / … / Relief zwischen Urne und Stier“). Nur noch der Wunsch nach Vergessen vermag sich zu erheben, nach Versinken, nach Einswerden mit dem Stein („Halt mein Gesicht im Schiefer fest / wo dein Herz grau ist gelber Berg // mache mich taub für das blaue Dröhnen / schließ deine Wimpern über mir zu“).
Anders flammt das Blut auf im „Purpuraugenblick“ des „Karfreitagsmohn(s)“, dort verhüllt sich sein Raubtier-Übermaß ins Christliche der „Griechischen Karwoche“ („Karfreitagsmohn / Mohn über alle Erde gerufen / damit nie mehr ein anderes Rot / triumphiere / Purpuraugenblick / dich will ich anrufen / in meiner letzten Nacht“).
Wieder wirkt das Bild der Waage herein („Mitte zwischen / Nochnicht Nichtmehr“), Waage-Augenblick des Mohns, Frucht der erntenden Augen („Dasitzen / die Augen sammeln / Stunde um Stunde / nur dieses Rot“). Bald aber werden „Übungen / die Augenlider zu überreden“ nötig (Ägina II), enthüllt das überständige Alte seine Zweideutigkeit („Diese Säule / ließen sie übrig / eine Wunde im Blau // Ursprung / Zerstörungsmal / Ebenbild / Mensch“). Dauer aber, wie sie sich an „El Grecos Geburtsort“ ablesen läßt („Sie schlachten Tiere / wie damals / … / Die Krüge sind noch aus Ton“), vielleicht stünde sie zur Ernte noch immer bereit („Windstiller Schoß / für die eine Hochzeit: / Orient-Okzident“), verwiese nicht, „auf dem Gipfel der Knabenepiphanie“, ein „Zerstörungsmal“ auf eine andere, tiefere „Wunde im Blau“ („Doch auf den Gipfel / der Knabenepiphanie führt jetzt die Straße / zum Radarschirm der NATO“).

Rudolf Stirn, Nachwort

 

 

Zum 100. Geburtstag der Autorin:

Manfred F. Kubiak: Warum die Heidenheimer Schriftstellerin in ihrer Heimatstadt nicht immer geliebt wurde
Heidenheimer Zeitung, 9.2.2021

Fakten und Vermutungen zur Autorin + IMDb + Archiv

 

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