Martin Gregor-Dellin: Zu Günter Bruno Fuchs’ Gedicht „Für ein Kind“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Günter Bruno Fuchs’ Gedicht „Für ein Kind“ aus Günter Bruno Fuchs: Gemütlich summt das Vaterland. –

 

 

 

 

GÜNTER BRUNO FUCHS

Für ein Kind

Ich habe gebetet. So nimm von der Sonne und geh.
Die Bäume werden belaubt sein.
Ich habe den Blüten gesagt, sie mögen dich schmücken.

Kommst du zum Strom, da wartet ein Fährmann.
Zur Nacht läutet sein Herz übers Wasser.
Sein Boot hat goldene Planken, das trägt dich.

Die Ufer werden bewohnt sein.
Ich habe den Menschen gesagt, sie mögen dich lieben.
Es wird dir einer begegnen, der hat mich gehört.

 

Flaschenpost für Nachgeborene

Wer so einsetzt: „Ich habe gebetet“, der droht gewöhnlich mit schwerer Gedankenlyrik, er ist von Rilke und seinen Epigonen umstellt. Nicht so Günter Bruno Fuchs dem alle Begrifflichkeit ein Graus war. Er war noch nicht siebenundzwanzig Jahre alt, als er in dem Gedicht „Für ein Kind” und einigen benachbarten madrigalesken Liedern und Gesängen einen Märchenton anstimmte, der ihm melodisch von sanften Lippen kam:

So nimm von der Sonne und geh.

Dieser Fuchs-Ton wurde von der Schrille des späteren Kreuzberger Kneipenpoeten und Tierstimmen-Imitators bis heute nicht übertönt, so wenig wie die Enttäuschungen und Verzweiflungen des Laubfegers und Trinkers die einstigen Hoffnungen und Träume des nach Reutlingen emigrierten Mitbegründers der pazifistischen Telegramm-Gruppe zu widerlegen vermochten.
Gewiß, auch in den frühen Gedichten standen Metaphern des Todes, der Melancholie und der Einsamkeit und daß in den Versen für das Kind nur von einem die Rede ist, der die Botschaft gehört hat, nur einen die Stimme erreicht, verrät ja auch keine allzu freundliche Meinung von der Menschheit. Die immer mehr ins Skeptische sich wendende Ironie des 1977 in Berlin neunundvierzigjährig verstorbenen Günter Bruno Fuchs konnte gelegentlich bissig und verletzend sein, sein Witz subversiv, aber das war nicht immer so gewesen, sonst gäbe es wohl nicht die so wenig apokalyptischen Verse von den belaubten Bäumen und den bewohnten Ufern.
Das Gedicht „Für ein Kind“ entstammt dem Umkreis der ersten Gedichtsammlungen Fenster und Weg und Zigeunertrommel, in denen Fuchs Amseln, Seiltänzerinnen und dem sterbenden Barosh ein Notturno gesungen hatte. „Für ein Kind”, 1955 erstmals abgedruckt und 1957 in den Band Nach der Haussuchung aufgenommen, hat Fuchs mehrmals Kindern gewidmet, er hat es als Flaschenpost ausgesandt, in der Gesellschaft trauriger Abgesänge auf die Regenbogenzeit der Frühe und in einsamen Nächten, die „wieder heimwehkrank“ geworden waren („Dämmerung“), verstört von einer sich immer militanter gerierenden Gesellschaft, die wieder für Stiefelschritt und Ordnung warb. Aus dieser neuen Pfeil-und-Bogen-Zeit sollte das Kind sich heil davonmachen zum Strom, an dessen Ufern der Fährmann wartet, zu bewohnten Stränden, kurz: ins Zeitliche, für das die Bilder des Gedichtes stehen.
Im Grunde beziehen diese Verse ihre Spannung aus dem, was sie verschweigen oder in ihrer kunstvollen Schlichtheit aussparen: die zubetonierte Landschaft, das versteinerte Herz, die grassierende Gefühlskälte. Diese frühen Gedichte von Fuchs sind Rettungsbojen, nur verständlich aus ihrer desillusionierenden Umgebung: Möge es so sein, mein Kind, daß du mich in den guten Taten andrer eines Tages wiederfindest!
Natürlich können alle diese ausgesandten Wünsche vergeblich sein – man spürt förmlich die Angst, es wäre so –, alles endet doch in einer Hoffnung, die wider alle Vernunft ist, einem Schimmer von Glauben an ein Überleben in den Nachgeborenen, einem kaum faßbaren Vertrauen in die Realität jenes Bootes, das „goldene Planken“ hat. Man könnte sich vorstellen, daß dies ein Gedicht zum Abschreiben ist, das man seinen Kindern und Enkeln schenkt, wobei der Widmende sich selber vielleicht mehr Trost zuspricht als dem, der die Botschaft empfängt.

Martin Gregor-Dellinaus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Zehnter Band, Insel Verlag, 1986

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