Melina Dammasch: Zu Rupi Kaurs Gedicht „no was a bad word in my home… / nein war ein schlimmes wort in meinem zuhause…“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Rupi Kaurs Gedicht „no was a bad word in my home… / nein war ein schlimmes wort in meinem zuhause…“ aus Rupi Kaur: the sun and her flowers. –

 

 

 

 

RUPI KAUR

no was a bad word in my home
no was met with the lash
erased from our vocabulary
beaten out of our backs
till we became well-behaved kids
who obediently nodded yes to everything
when he climbed on top of me
every part of my body wanted to reject it
but i couldn’t say no to save my life
when i tried to scream
all that escaped me was silence
i heard no pounding her fist
on the roof of my mouth
begging to let her out
but i had not put up the exit sign
never built the emergency starcaise
there was no trapdoor for no to escape from
i want to ask all the
parents and guardians a question
what use was obedience then
when there were hands
that were not mine inside me

how can i verbalise consent as an adult if i was
never taught to as a child

nein war ein schlimmes wort in meinem zuhause
nein wurde mit der peitsche begegnet
aus unserem wortschatz getilgt
aus unseren rücken geprügelt
bis wir wohlerzogene kinder waren
die zu allem gehorsam ja nickten
als er auf mich kletterte
wollte ihn jeder teil meines körpers zurückweisen
aber ich konnte nicht nein sagen um mein leben zu retten
als ich versuchte zu schreien
war alles was mir entwich stille
ich hörte nein mit ihrer faust
an den gaumen hämmern
und betteln sie rauszulassen
aber ich hatte das ausgangsschild nicht aufgehängt
die fluchttreppe nie gebaut
es gab keine falltür durch die nein hätte fliehen können
ich möchte allen
eltern und erziehungsberechtigten eine frage stellen
wozu war gehorsam gut
wenn dort hände die nicht meine waren
in mir waren 

– wie soll ich als erwachsene*r einwilligung ausdrücken können,
wenn ich es als kind nie gelehrt wurde

(Übersetzung: Melina Dammasch)

 

Fluchttreppe aus dem Gehorsam

In dem 2017 erschienenen zweiten Gedichtband the sun and her flowers der indisch-kanadischen Schriftstellerin Rupi Kaur ist dieses titellose Stück nur eines von vielen Gedichten, das aufgrund seiner schwierigen Thematik hervorsticht – unerwartet vielleicht, denn irrtümlich könnte der blumige Titel des Gedichtbandes einen leichteren, fröhlicheren Eindruck erwecken.
Das Gedicht reiht sich ein in das zweite Kapitel „falling“, das sich auf kritische Weise mit Körperlichkeit beschäftigt. Es geht um fehlende Akzeptanz des eigenen Körpers und der eigenen Schönheit sowie ein durch die Gesellschaft und die Liebe vollkommen verzerrtes Selbstbild. Doch in diesem und einem weiteren Gedicht namens „home“ werden diese Grenzen noch überschritten.
In beiden Gedichten wird das Motiv der Vergewaltigung, des Verlustes der eigenen Stimme und eine damit einhergehende Hilflosigkeit aufgegriffen, jedoch ist es im hier angeführten Gedicht kein aktueller Moment, sondern ein Leben des beständigen Gehorsams, in dem das Wort ‚Nein‘ keinen Platz hat und in dem eine eigenständige Stimme mit Peitschenhieben ausgetrieben wird.
In diesen Hintergrund leitet das Gedicht ein, verstärkt durch die geradezu gewaltschreienden Elemente der Peitsche und Schläge, und führt dann über in eine Situation größter körperlicher Bedrängnis und der Unfähigkeit des lyrischen Ichs, sich widersetzen zu können. Ganz auffällig wird mit einem Kontrast zwischen einem Schrei, der ausgestoßen werden will, und der Stille, die trotz dessen über der Situation bestehen bleibt, gespielt. Was darauf folgt, ist eine Personifizierung des Wortes „no“ als eine „sie“ („her“), die mit aller Kraft und allem Betteln versucht, sich aus dem Mund des lyrischen Ichs zu befreien. Doch durch das Fehlen eines Ausfahrtsschilds, einer Notfalltreppe oder einer Falltür gibt es kein Entkommen, was die wachsende Bedrohlichkeit der Situation verdeutlicht. Das titellose Stück endet mit einer Frage, die den Wert von ungebrochenem Gehorsam hinterfragt, wenn dieser dazu führt, auch in bedrohlichen Situationen nicht widersprechen zu können. Etwas abgesetzt vom Rest des Gedichtes, und dadurch betont, wird ganz direkt eine Frage gestellt, die einen Bogen spannt zwischen dem Beginn des Gedichtes mit einer Kindheit voller Gehorsam und dem Erwachsenenalter, sie eröffnet den zentralen Zusammenhang: Wie soll ich als Erwachsene*r Einwilligung ausdrücken können, wenn ich es als Kind nie gelehrt wurde?
Ein hervorstechendes Detail des Gedichtes liegt darin, dass in den 24 Zeilen ohne Ausnahme kleingeschriebener Wörter – ein Kennzeichen der Autorin und Merkmal all ihrer Gedichte – durch das viermalige kursive Hervorheben des Wortes „no“ genau das betont wird, was in der Welt des Gedichtes nicht ausgesprochen werden darf. Das Wort „yes“ hingegen kommt nur einmal vor.
Durch die Kleinschreibung, die fehlende Interpunktion und aufgrund der nicht vorhandenen Illustrationen, die vielen von Kaurs Gedichten beigefügt sind, wird eine Schlichtheit aufgebaut, der in erschreckend brutaler Art und Weise die durch Sprache erzeugten Bilder der beschriebenen Situation entgegengesetzt werden. Die schlichte Form zeigt überdies, dass das angesprochene Thema für sich steht und wirkt, ohne dabei auf Ausschmückungen oder Illustrationen zurückgreifen zu müssen.
Viele von Kaurs Gedichten enthalten eine gesellschaftskritische Note, die hier ganz deutlich (aber nicht ausschließlich) in der Schlussnote erklingt: „how can i verbalise consent as an adult if i was never taught to as a child“. Eigentlich als Frageform formuliert, fehlt das Fragezeichen und somit formt dieser Zusatz des Gedichts eine konkrete Ausrichtung. Es geht über von einigen schlichten und trotzdem ausdrucksstarken Zeilen in ein klares und direkt formuliertes Statement: Eine Erziehung, ob nun bestimmter Familien oder Kulturen, die das Wort „Nein“ und den Widerspruch an sich nicht zulassen, wird scharf kritisiert, denn sie lässt zu, dass Kinder und spätere Erwachsene in Situationen getrieben werden, aus denen sie sich eigenständig nicht befreien können, da ihnen nicht beigebracht wurde, wie.

Melina Dammasch, Originalbeitrag

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