Michael Braun: Zu Arnold Maxwills Gedicht „grau. stimmen die Graden, Linien,…“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Arnold Maxwills Gedicht „grau. stimmen die Graden, Linien,…“ aus Arnold Maxwill: Raumsch

 

 

 

 

ARNOLD MAXWILL

grau. stimmen die Graden, Linien,
Lamellen, grad jetzt? grau von rechts.
eingesickert. Schmale Spaltung, End-

programm (für glattere Falz). Wie
Abstände sich nun spüren. Koma,
Lagerung, wild knüsternder Stand.

Stäbe. bröckelndes Licht in Fäden:
die Neige verschwingt sich; Rück-
stand, Schwäre. passgenau Leere

 

Im Jahr 2008

hat der Fotograf Walter Vorjohann einen „Ort der Abwesenheit“ fotografiert, das damals schon verlassene Gelände der ehemaligen Frankfurter Großmarkthalle, auf dem dann das spektakuläre Gebäude der Europäischen Zentralbank errichtet wurde. Von diesem starken Bildeindruck geht das Gedicht des in Dortmund lebenden Dichters Arnold Maxwill (Jg. 1984) aus, von der Aura eines riesigen, menschenleeren Gebäudes, der einstigen Kathedrale der Gemüsehändler. Arnold Maxwill ist ein Dichter, der mit Techniken der radikalen Engführung und schroffen Fügung bestimmte Orte, Landschaften und Flächen topografiert oder kartografiert. Die zwölf Kapitel seines Debütbands Raumsch entzünden ihre Bildfantasien an der Beschäftigung mit Fotografien und Bildarchiven. Im ersten Gedicht des Zyklus „Großmarkthalle“ wird die strenge Methodik Maxwills besonders deutlich: Seine auf die Erfassung von Naturstoffen, geografischen Objekten, Raumverhältnissen und Flächenstrukturen konzentrierte Dichtung tastet die Konturen des Gebäudes ab, dessen architektonische Schönheit selbst die Farbe als ein ästhetisches Kraftfeld zur Geltung bringt. Maxwills Gedicht evoziert nur die Linienführung, die Abstände zwischen den Raum-Elementen, die Strukturen des Objekts, die Lichtverhältnisse. Dabei bedient sie sich gerne seltener Vokabeln für die materiellen Eigenschaften und die Eigendynamik der Objekte. Ganz nebenbei entsteht ab der Hälfte des Gedichts ein Klangraum aus Umlauten („spüren“, „knüstern“, „bröckelnd“, „Rück-stand“, „Schwäre“), von Lauten also, die, wie die Sprachforscher glauben, bald aus der deutschen Sprache verschwunden sind.

Michael Braun, Volltext, Heft 2, 2020

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