Michael Braun: Zu Barbara Rauchenbergers Gedicht „Lieder ohne Wortschatz [III]“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Barbara Rauchenbergers Gedicht „Lieder ohne Wortschatz [III]“ aus Barbara Rauchenberger: über Wort und warte

 

 

 

 

BARBARA RAUCHENBERGER

Lieder ohne Wortschatz [III]

I.
Ich glaube an die Auferstehung
Das erschwerte Kind

II.
Im Grünen
An Sternobst
Ich meine an Ströme

III.
Über Tage hinweg

IV.
Diese Randerscheinung

V.
Sollte
Unter Umständen
Ein anderer Tod
Unter Exerzitienblüten
Ich meine
Ein Brennen in petto
Sollte es sein

VI.
Dein sagenhaftes Verschwinden

 

Bereits der erste Vers

im Gedicht der Grazer Autorin Barbara Rauchenberger weist den Weg auf religiöses Gelände. Hier wird die Formel am Ende des apostolischen Glaubensbekenntnisses aufgegriffen und vielsagend verkürzt:

Credo in… carnis resurrectionem, vitam aeternam – Ich glaube an die Auferstehung des Fleisches und das ewige Leben.

Kaum ist das Bekenntnis „Ich glaube an die Auferstehung“ formuliert, kommen im Gedicht gegenstrebige Fügungen ins Spiel, Widerstände, Zweifel, Antithetisches. Statt Verheißung artikuliert sich die Erfahrung des Mühevollen. Es tritt nicht etwa das „göttliche“ Kind als Inbegriff einer religiösen Heilsgewissheit auf, sondern in einer kühnen Fügung und seltenen Wortverbindung „das erschwerte Kind“. Überhaupt kreisen die acht „Lieder ohne Wortschatz“, die Barbara Rauchenberger (geboren 1968) verfasst hat, in extrem elliptisch gebauten Versen um das innige Verbundensein mit Kindern. Zumindest bildet das Kind-Motiv die Brücke zwischen den acht sehr unterschiedlich gebauten Liedern. Die religiöse Imprägnierung dieser radikal verknappten Gedichte mag mit dem Beruf der Autorin zusammenhängen: Die studierte Theologin arbeitet im Kulturzentrum für die Ordensgemeinschaft der österreichischen Minoriten in Graz, jenem franziskanischen Orden, dem sich einst auch der zum Katholizismus konvertierte Mystiker und Epigrammatiker Angelus Silesius angeschlossen hatte. Wie Angelus Silesius arbeitet Rauchenberger mit epigrammatischen Techniken. Sie entkernt die poetische Rede zu Fragmenten und Elementarteilchen, die zu vieldeutigen lyrischen Mobiles konstelliert werden können. Wer Lieder „ohne Wortschatz“ annonciert, ist auf Verkürzungen und Chiffrierungen angewiesen. Zeichen des Lebendigen sind hierbei immer mit Chiffren der Vergänglichkeit gekoppelt, der Neologismus „Exerzitienblüten“ mit dem „nahenden Tod“. Am Ende triumphiert die Furie des Verschwindens.

Michael Braun, Volltext, Heft 1, 2019

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