Michael Braun: Zu Ernst Herbecks Gedicht „Die Sprache.“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Ernst Herbecks Gedicht „Die Sprache.“ aus Ernst Herbeck: Der Hase!!!! 

 

 

 

 

ERNST HERBECK

Die Sprache.

a + b leuchten im Klee.
Blumen am Rande des Feldes.
die Sprache. –
die Sprache ist dem Tier verfallen.
und mutet im a des Lautes.
das c zischt nur so umher
aaaaaund ist auch kurz dann sein
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaGewehr.

 

„Der Geisteskranke kann […]

sogar als mystische Avantgarde gelten. Er hat den Vorteil, den ihm jeder Künstler neidet, in den Mutterschoß der Dinge eingekehrt zu sein, und seine wachen Sinne sind ihm doch geblieben. Er lebt in einer Welt direkter Wahrnehmung, in der die Wesen ihren inneren, unbeschwerten Lebgeist zeigen, und er kann, bestürzt, das Unerhörte doch noch fassen.“ Was der in eine katholische Denkwelt entrückte Dadaist Hugo Ball 1925 über das Verhältnis von Dichtung und Schizophrenie aufschrieb, ist imprägniert von den Illusionen und Projektionen seiner Zeitgenossen. Der Heidelberger Psychiater Hans Prinzhorn hatte damals einige aufsehenerregende Thesen über die „Bildnerei der Geisteskranken“ formuliert – und der mystische Avantgardist Ball beeilte sich, diese „Geisteskranken“ als Seelenverwandte in die eigene Künstler-Community einzugemeinden. Aus heutiger Sicht muss diese Verklärung der Geisteskranken ernüchtert werden. Das gilt auch für die Beschäftigung mit den Gedichten von Ernst Herbeck, der 45 Jahre lang in der Nervenheilanstalt im niederösterreichischen Gugging zubrachte, bis er 1991 starb. Herbeck war gerade zwanzig, als er sich 1940 von Mädchenstimmen verfolgt fühlte; später behauptete er, das messerscharfe Denken seines Vaters verursache bei ihm Kopfweh. Sein behandelnder Arzt Leo Navratil hat den unter einer starken Sprachbehinderung leidenden Herbeck dazu animiert, kurze Gedichte zu schreiben. Herbeck hat also immer im Auftrag geschrieben, nie aus eigenem Antrieb und er hat das nach den ihm zugereichten Stichworten Geschriebene nie kommentiert oder bearbeitet. Dennoch sind einige Gedichte von dunkler Schönheit entstanden, die sich jeder herkömmlichen Logik entziehen und mit überraschenden Bild-Kombinatoriken verblüffen. „Die Sprache“ beginnt hier zu „leuchten“ in unvorhersehbaren Wort-Blitzen und der selbst auferlegte Reimzwang tut dann ein Übriges.

Michael Braun, Volltext, Heft 1, 2021

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