Michael Braun: Zu Sina Kleins Gedicht „und wie die ringe spuren sind, so gehen…“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Sina Kleins Gedicht „und wie die ringe spuren sind, so gehen…“ aus Sina Klein: skaphander. –

 

 

 

 

SINA KLEIN

und wie die ringe spuren sind, so gehen
wir im kreis. du wirfst mich weg, du fügst
der nacht den weißen riss zu, wenn du schreist.

als ich beschloss, dich / wieder zu verpassen,
wusste ich: was einmal offen ist, ist
ein begriff von schluss, ich / greife zu und

weißt du? – hier im leisesten der zimmer
bin ich laut und schließe jede wand.
wenn du was hörst, das bin ich nicht, das muss

die andre sein, im stirnverbund mit mir,
die immer von versehrung spricht und immer
mehr davon, wie sehr sie dich vermisst.

 

„Alles ist Wundenschlagen“,

so hatte einst Ingeborg Bachmann das Verhängnis der Liebe definiert, „und keiner hat keinem verziehn. / Verletzt wie du und verletzend, / lebte ich auf dich hin.“ Bevor die Liebenden sich ihrer unbedingten Hingabe vergewissern können, hat schon das Wundenschlagen begonnen. Diese schwarze Utopie der Liebe hat nun die in Wien lebende Dichterin Sina Klein (*1983) in drei großen Zyklen kunstvoll fortgeschrieben, wobei diese Zyklen in ihrem Gedichtband skaphander in strenger spiegelbildlicher Ordnung in sechs Teile zerlegt werden. In versehrten Sonetten, fragmentierten Volksliedstrophen und zerbeulten Rondeaus werden hier die Beschädigungen der Liebe sichtbar gemacht: Es gibt keine harmonische Fügung in diesen an klassischen Reimstrophen orientierten Gedichten, stattdessen dominieren Figurationen der Zertrennung und Zersplitterung, Bilder der Dissonanz. Die Gedichte stemmen sich mit Hilfe eines „skaphanders“ (eine veraltete Bezeichnung für „Schutzanzug“) gegen die Fliehkräfte im Liebeskampf und gegen die Verlorenheit in der Sphäre des Digitalen. Und stets ist in diesen kunstvoll geflochtenen Dreizeilern das Drama der Triangulierung präsent: Ein Dritter oder eine Dritte treten hinzu und der Liebestraum des zuvor absolut aufeinander bezogenen Paares gerät ins Wanken. Als Motti zweier skaphander-Kapitel zitiert Klein die Puppenbilder des Surrealisten Hans Bellmer. Ähnlich wie auf den Schockbildern Bellmers, der die einzelnen Glieder der von ihm bearbeiteten Puppen zerlegte und zu neuen, grotesken Körpern zusammensetzte, demonstriert dieses Gedichtbuch die Deformationen des Begehrens. „Alles an uns“, heißt es einmal, „ist aus messern gemacht.“

Michael Braun, Volltext, Heft 2, 2018

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