Michael Hamburger: Zu Franz Baermann Steiners Gedicht „Elefantenfang“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Franz Baermann Steiners Gedicht „Elefantenfang“ aus Franz Biermann Steiner: Unruhe ohne Uhr. –

 

 

 

 

FRANZ BAERMANN STEINER

Elefantenfang

Die zahmen tiere drohten schweigend,
Köpfe gesenkt vor schwarzem meer,
Das rastlos mahlte in der friedung,
Gellte, schnob.

Doch als die wildlinge, bemeistert
Von hungertagen und verschnürter Welt,
Nicht kraft mehr fanden, alte angst verstanden,
Ließ man die zahmen zu.

Die schlugen ein mit rüsseln und mit zähnen.
Erbarmungslos der wohlgenährten haß
Dem waldruch galt, dem fernher kommen:
Strafte mit lust.

 

Das ernste Spiel mit Wörtern

Der Autor dieses Gedichts gehört nicht zu den Verschollenen und Vergessenen dieses Jahrhunderts, sondern zu den niemals anwesenden, ganz wahrgenommenen Dichtern; und zwar nicht nur, weil sein reifes Werk in der Emigration entstand und erst nach seinem Tode zum Teil veröffentlicht wurde, sondern auch weil er ein gelehrter Dichter, ein poeta doctus, war. Seine Spezialkenntnisse als Anthropologe, die sich von der griechisch-römischen Kultur zur jüdisch-arabischen und zur indianischen erstreckten, trugen nicht weniger zu seiner Lyrik bei als das Studium der deutschen Literatur und der deutschen Mystik.
Unter den deutschen Vorbildern war für ihn die Lyrik der Barockzeit ganz besonders wichtig; unter anderem wohl, weil in dieser Zeit der poeta doctus nicht als Ausnahme, sondern als die Regel galt und in Dichtung noch Geistlichkeit und Weltlichkeit, Leidenschaft und Witz, Ernst und Spiel, engagement und Artistik nicht als sich gegenseitig ausschließende Alternativen empfunden wurden. Als notwendige Spannungen wirkten sie innerhalb des Gedichts. Erst seit dem 18. Jahrhundert wurde die barbarische Alternative formuliert – als ob homo sapiens nicht zugleich homo ludens, dazu übrigens noch homo ignorans und vor allem homo quaerens sein könne und sein müsse, wenn er sich nicht programmatisch verstümmeln will.
In der Kunst Steiners wie in jener der Barockzeit fehlt die nun herrschende Spezialisierung der Mittel. Das Unerwartete Unerhörte ergibt sich zwar aus der Erfindung, der Improvisation, der Suche nach der angemessenen Form, auch aus der Spannung zwischen den Gegensätzen; aber Steiner ging es eher darum, seine Individualität ins Gedicht zu versenken, als sie als Kennzeichen (oder auch Warenmarke) des Autors zur Schau zu tragen. Trotz der in seinem Werk auffallenden Verschiedenheit der Gedichtformen und Gedichtarten blieb seine Virtuosität immer eine angewandte. Bekenntnis und Gesellschaftskritik werden durch eine subtile und diskrete Formkunst ebenso realisiert wie die rein ästhetischen Zwecke, die Freude am gekonnten Spiel.
Auch „Elefantenfang“ zeichnet sich durch Knappheit, Schlichtheit und Sachlichkeit der Darstellung aus. Die Stilmittel sind von einer fast klassischen Unpersönlichkeit. Daß es sich aber trotz des überwiegend jambischen, fast glatten Rhythmus um keine übernommene Gedichtform, sondern um eine frei erfundene, dem Thema genau angemessene handelt, ist für diesen Dichter charakteristisch.
Ein einziger Reim, innerhalb der siebten Zeile, deutet eine psychische Entsprechung zwischen dem Kraftverlust und der alten Angst an. Jede Variation in der Zeilenlänge und im Rhythmus erschüttert das prekäre Gleichgewicht des Gedichts. Hinter der sachlichen Beobachtung des zoologischen Vorgangs verbergen sich eine schwer leidende, schwer verwundete Sensibilität und der verschwiegene Vergleich mit dem zoon politikon.
Das Gedicht gibt sich nicht zeitgemäß, ist es aber – immer noch; schon dadurch, daß es das spätexpressionistische Aufschreien überholte und sich in der härteren Zeit durch eine leise, aber harte Sprache bewährte.

Michael Hamburgeraus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Erster Band, Insel Verlag, 1976

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