Nora Gomringer, Marco Grosse, Annette Hagemann, Ulrich Koch, Klaus Merz: Flüsterndes Licht

Mashup von Juliane Duda zum Buch von Nora Gomringer, Marco Grosse, Annette Hagemann, Ulrich Koch, Klaus Merz: Flüsterndes Licht

Gomringer, Grosse, Hagemann, Koch, Merz-Flüsterndes Licht

1
Es schüttelt sich die Leichtigkeit
was von der Schulter:
die Krümel des Lichts, die ihm
beim Flüstern aus dem Mund fallen.

Marco Grosse

2
in sonnenfinsternis so fällt ihr auf
werfen die bäume nicht – sondern sie
senken ihre schatten sanft zu boden
und legen kleine sicheln auf asphalt sie denkt
sie hat die sonnenbrille auf dabei sinds ihre augen

Annette Hagemann

3
Im Morgengrauen führte der Weg
an den Grabstätten erstorbener
Freundschaften vorbei. Durch
Lichtrisse grüsste ich, zwinkernd.

Klaus Merz

4
Fast niemanden, antwortete ich der Sonne, aber
aus meiner vorsprachlichen Zeit dufte ich noch
wie eine Libelle. Warum schaust du mich nicht mehr an
wollte sie wissen. Wo sind die Kinder.
Wen liebst du jetzt.

Ulrich Koch

5
Licht, so meine Mutter, schien der Welt mein erstes Wort.
Wie stolz die Eltern: Goethescher Anklang –
aaaaadem Endklang nach!
Es war wohl Nachmittag, als ich über das Taufbecken
aaaaagebogen ward
wortwispernd. Ein kleiner Mensch, unbeseelt zuvor
nun doch von Lichtern ganz beflüstert.

Nora Gomringer

 

 

 

Nachwort

Schon öfters wurden seit den siebziger Jahren kollektive Gedichte geschrieben, basierend auf dem Renshi, der modernen Form des japanischen Renga, dem althergebrachten Kettengedicht. Der Begriff „Renshi wurde in Analogie zu Renga gebildet, wobei shi die moderne, formal ungebundene Lyrik im westlichen Stil bezeichnet“ (Eduard Klopfenstein).
In dieser modernen Variante ist somit fast alles erlaubt. Doch einige Kriterien legten wir fest, an die sich alle zu halten hatten: Eine Strophe sollte maximal aus fünf Zeilen bestehen, der Titel „Flüsterndes Licht“ gab den ersten Grundton an. Danach durfte jeweils nur auf eine Stimmung, ein Bild oder Wort aus der vorangehenden Strophe reagiert werden. Die Texte reichten wir einander in wechselnder Reihenfolge per E-Mail weiter. Als zeitliche Richtschnur pro Strophe wurden maximal zwei Wochen vereinbart.
Fünfundfünfzig Strophen waren zu Beginn geplant. Bald aber erkannten wir, dass dies bei fünf Verfassern zu eng bemessen war, und beschlossen, das Kettengedicht auf neunzig Strophen anwachsen zu lassen. Eineinhalb Jahre lang haben wir miteinander E-Mails ausgetauscht. Nora verfasste die letzte Strophe im August 2016 anlässlich unseres gemeinsamen Schlusslektorates in Bamberg.

Nachwort

 

Fünf namhafte LyrikerInnen der Gegenwart – ein Gedicht

Das kollektive Gedicht ist in unseren Breiten seit den Siebzigern bekannt. Es basiert auf dem Renshi, der modernen Form des japanischen Renga, dem althergebrachten Kettengedicht. Fünf renommierte PoetInnen unserer Zeit haben sich zusammengefunden, um ein solches Kettengedicht zu verfassen. Im E-Mail-Austausch zwischen Nora Gomringer, Marco Grosse, Annette Hagemann, Ulrich Koch und Klaus Merz ist das vielfältige lyrische Gewebe im Laufe von eineinhalb Jahren zu 90 Strophen angewachsen.

„Es schüttelt sich die Leichtigkeit / was von der Schulter“
Mit diesem Satz beginnt die außergewöhnliche künstlerische Zusammenarbeit. Die LyrikerInnen spielen sich gegenseitig Bälle zu, fangen sie auf, verknoten Fäden ineinander und entflechten sie: Von den Krümeln des Lichts zum Flackern der Stroboskope, vom Provinzzug, der durch die Wiesen schunkelt, in den Mangrovensumpf, von der Spinne, die Gras kämmt, zu den Raben, die Fabeln krächzen. Ein mannigfaltiger lyrischer Genuss, eine poetische Reise voller Sprachlust und Gedankenspiel!

Haymon Verlag, Ankündigung

 

 

Lesung des Kettengedichtes Flüsterndes Licht zum Lyrikfest 2017 vom Literaturhaus Hannover von und mit Nora Gomringer, Marco Grosse, Annette Hagemann, Ulrich Koch & Klaus Merz.

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