Ostap Slyvynsky: Im fünften Jahrtausend erwachsen

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Ostap Slyvynsky: Im fünften Jahrtausend erwachsen

Slyvynsky-Im fünften Jahrtausend erwachsen

DIE TENNISPLATTE UND DAS NETZ ZWISCHEN DEN BÄUMEN, DER KLEINE 

hochgeschaukelte Planet mit seinem niedergetretenen
aaaaaGras
dreht sich Tag für Tag schneller wie ein quietschendes
aaaaaKarussell
und hat uns ins Regenbogenwasser geworfen,
mitten hinein in ein blechernes Orchester aus
aaaaaGeheimnissen.

Alle Schlüssel, die uns um den Hals hingen, die gekennzeichneten Wege,
die Versuche, Feuer zu machen, die Tage ohne Essen und Wasser,
mit nichts als Wein und Liebe, unsere geheimen Stellen,
von Glühwürmchen markiert, die kältesteifen Schultern und vernebelten Köpfe –
alles eilt uns nach und schweigt. Der Schächte große Stille. 

Es dunkelt jetzt um 4.40 Uhr, ich greife nach der Taschenlampe und suche die Stelle
am Fluss, wo ich mich mit der Kleinen Schlange vereinigt habe, mit Luft und Erde
und mit dem Geflecht aus braunen Pflanzen, eingeschlossen in ihrem länglichen
Leib, ich könnte sie rufen, ich kenne ihre Namen,
das Sutra jedes Wasserarms, doch meine Stimme scheint ausgewandert
aus den Lungen vor Schulden und nächtlichem Getöse; am Ufer,
zu der Zeit, wenn die trüben Samen des Wolfram reifen,
höre ich, dankbar und hilflos wie ein geretteter Welpe,
wie das Gefäß, für die Liebe bereit gehalten, sich
mit einer anderen tauben Flüssigkeit füllt, gleich Regen in einer löchrigen Rinne.

 

 

 

Lichtritzen

– Ostap Slyvynskys Gedichte aus den Jahren 2008 bis 2016. –

Ostap Slyvynskys Gedichte gleichen Gemälden, die dem Betrachter eine vielschichtige Annäherung an komplexe Wahrnehmungen ermöglichen. Der Autor erzählt kleine Episoden, Begebenheiten von gewollter und doch misslungener Gemeinschaft, von Irritationen zwischen Generationen, von Wegen, die gemeinsam und doch getrennt zurückgelegt werden. Slyvynsky spürt Menschen auf, „die das Glück aus der Tiefe ersehnen“, wie es in seinem Gedicht „Viele Klapptische im Sommer“ heißt. Sie scheinen sich uns permanent zu entziehen, als hätte ihnen der geschriebene Vers eine trennende Haut übergestreift. Oft führen Slyvynskys Figuren Dialoge mit einem unsichtbaren Gegenüber. Ihre Handlungen führen ins leere, menschliche Reaktionen bleiben aus. Stellvertretend für Menschen reagiert die Natur. Die Handlungen und Dialoge sind gekleidet in Geräusche, Farben und Bewegungen, die uns vertraut sind, in ihrer Alltäglichkeit aber zumeist unbemerkt an uns vorüberziehen. In Slyvynskys Gedichten treten sie aus ihrer Rolle als Kulisse heraus und fesseln unsere Aufmerksamkeit. Wie bei einem Gemälde bleibt es dem Betrachter überlassen, die erzählte Geschichte zu entdecken, das Umfeld zu erspüren, die handelnden Personen zu fixieren oder ihre Beziehung, ihre Vergangenheit und Zukunft auszuloten.
Slyvynsky ist fasziniert von Menschen in verschiedenen Lebensphasen. Die Gedichte nehmen Vergangenes in den Blick und legen ein starkes Augenmerk auf die Abgeschlossenheit und die Gunst des Augenblicks, besonders wenn dieser einen schmerzlichen Nachgeschmack hinterlässt. Die Episoden beginnen und enden abrupt, die scheinbar zusammenhanglosen Ausschnitte verstören, implizieren Ungereimtheiten, Tabus und Geheimnisse, denen man auf die Spur kommen möchte.
Slyvynskys Texte vermitteln oft einen Zustand von Entfremdung, sie geben dem Leser die Gelegenheit, die Episoden aus nächster Nähe zu betrachten und doch außerhalb der Geschichten zu bleiben. Slyvynsky schafft eine verlangsamende Distanz, die beim Lesen eine bereichernde Konzentration erzeugt.
In den zurückliegenden Jahren spiegeln Ostap Slyvynskys Gedichte zunehmend die komplizierte gesellschaftliche Situation in der Ukraine zwischen Revolution und Krieg, dem Ringen um Demokratisierung, der Orientierungssuche der Menschen und der zunehmenden Resignation. Während der Majdan-Revolution 2013/14 war Ostap Slyvynsky ein unermüdlicher Mahner gegen die Menschenrechtsverbrechen des Janukowytsch-Regimes, in seiner Heimatstadt Lwiw unterstützt er die Bewegung zur Umsetzung demokratischer Gesellschaftsreformen und engagiert sich für die Binnenflüchtlinge aus der Ostukraine und von der Krim.
In seinen Texten setzt er sich insbesondere mit den persönlichen Dimensionen von Krieg, Flucht und Vertreibung auseinander, so unter anderem in dem Gedicht „Verliebte auf dem Fahrrad“ und in seiner Sammlung von Haikus zur gesellschaftlichen Situation in der Ukraine.
Die hier veröffentlichten Gedichte stammen aus den Jahren 2008 bis 2016. 

Die Gedichte von 2009 bis 2012 – ab Seite 31 – erschienen im Original in dem Band Adam, Tscherniwzi, Meridian Czernowitz 2012. Die Gedichte von 2008 – ab Seite 47 – erschienen im Original erstmals im Band Der Ball im Dunkel, Kiew, Krytyka 2008. Die jüngeren Gedichte – von 2012 bis 2016 – werden hier zum ersten Mal publiziert. Die Auswahl haben wir gemeinsam mit dem Autor erstellt. 

Claudia Dathe, Nachwort

 

Ostap Slyvynskys Gedichte

gleichen Gemälden, die dem Betrachter eine vielschichtige Annäherung an komplexe Wahrnehmungen ermöglichen. Der Autor erzählt kleine Episoden, und zunehmend spiegeln die Texte die komplizierte Situation in der Ukraine zwischen Revolution und Krieg, das Ringen um Demokratisierung, die Orientierungssuche der Menschen und zunehmende Resignation.
Ein Beispiel?
„Ein paar verwaschene Zeichen, eine durchweichte / Karte, / Zweige, die jemand abgeknickt hat und denen ich folge, / sonst nichts.“

edition.fotoTAPETA, Ankündigung

 

Beitrag zu diesem Buch:

Jan Kuhlbrodt: Die Zukunft der Vergangenheit
signaturen-magazin.de

 

Josef Winkler und Ostap Slyvynsky im Gespräch über Leben und Tod in Ljubljana am 17.4.2015

 

Fakten und Vermutungen zur Übersetzerin + Facebook

 

Fakten und Vermutungen zum Autor + Facebook
shi 詩 yan 言 kou 口

 

Ostap Slyvynsky Beitrag z u „Leipzig liest Ukraine“ 2013.

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